Der Fluch des Onlinejournalismus

Noch immer geniesst Onlinejournalismus in der Schweiz einen schlechten Ruf – auch bei jungen, angehenden Journalisten. Würden die Redaktionen mehr experimentieren, wäre dies anders. Umdenken ist gefordert.

Newsroom der Aargauer Zeitung in Aarau: Oft ziehen es auch junge Journalisten vor, bei Print statt bei Online zu arbeiten. Foto: Alex Spichale/az
Newsroom der Aargauer Zeitung in Aarau: Oft ziehen es auch junge Journalisten vor, bei Print statt bei Online zu arbeiten. Foto: Alex Spichale/az

Jeden Morgen sitzt Elia in der Bahn und checkt die News auf seinem iPhone. Auch am Mittag nach dem Essen startet er die News-Apps, um sich über das Neuste auf der Welt zu informieren. Und am Abend, wenn er nach Hause fährt, zückt er erneut sein Handy und lässt sich aufdatieren. Elia ist 18-jährig und absolviert demnächst seine Matura. Danach will er Journalist werden. Einer, der auf Papier schreibt. «Ich denke, dass die Leserzahlen online mittlerweile höher sind. Aber im Print habe ich ein abschliessendes Gefühl. Es ist schwarz auf weiss, man kann nichts mehr ändern», erklärt der Kantischüler.

Elia ist ein typisches Beispiel für die neue heranwachsende Journalistengeneration. Online vernetzt, technologisch auf dem neusten Stand – und trotzdem mit dem hehren Berufsziel, später einmal rein für ein Printmedium arbeiten zu wollen. Weshalb das? Obwohl sich vor allem die jüngere Leserschaft fast hauptsächlich nur noch über Onlinemedien informiert, wollen gerade junge Journalisten nicht in diesem Bereich arbeiten. Für Vinzenz Wyss, Journalistik-Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, hängt dies vor allem mit dem schlechten Ruf des Onlinejournalismus zusammen: «Gesamthaft wurde ein Image der Galeerenarbeit produziert. Das wiederum bildet bei Leuten, die nicht richtig wissen, wovon sie reden, ein Image von schlechtem Journalismus. Unlängst begann sich ein Teufelskreis zu drehen.» Wyss ist überzeugt, dass sich ein solcher Teufelskreis nur mit dem gezielten Ausbau von Ressourcen aufhalten lässt. Darunter versteht er Zeit, Geld, Zugänge und Ausbildung als wichtigste Faktoren.

Einer, der bereits seit vielen Jahren konsequent auf Journalismus im Netz gesetzt hat, ist Hansi Voigt. Als Chefredaktor von «20 Minuten Online» habe er das Glück gehabt, keinen grossen Erwartungen gegenüberzustehen. Nirgendwo sonst testete man in der Schweiz bereits so früh und konsequent neue journalistische Experimente. So erkannten Voigt und seine Redaktion schnell, dass gerade im Internet die Masse der Leserschaft eine wichtige journalistische Hilfestellung darstellen kann. Er vergleiche dies oft mit der Sendung «Wer wird Millionär», sagt Voigt. «Dort ist der sicherste Joker stets der Publikumsjoker, da er zu 70 oder 80% die richtige Lösung offenbart. Das ist ein plumpes Beispiel, aber auf die Intelligenz der Masse im Journalismus aus Eitelkeit oder aus Angst um seine elitäre Position zu verzichten, halte ich für antiquiert.»

Nicht nur bei vielen alteingesessenen Journalisten sei diese Denke noch nicht angekommen. Er könne nachvollziehen, dass junge Journalisten vor allem von den grossen Medientiteln, die ihre Marken noch immer über Printprodukte definieren, beeinflusst werden. Dabei sei die Zukunft gerade für junge Journalisten dank des Internets optimistischer, als sie immer dargestellt werde: «Gute Inhalte sind immer gesucht, egal in welchem Medium. Ausserdem bin ich überzeugt, dass Journalisten im Mediengeschäft wieder eine grössere Wichtigkeit erhalten. Denn die Journalisten und deren Inhalte werden das einzige Unterscheidungsmerkmal der Verleger sein. Heute wichtige Produktionsfaktoren wie Druckerei und Vertrieb werden in einer digitalen Welt marginalisiert. Es bleiben die Journalisten.»

Eine erste Tendenz zu mehr Eigenleistung im Netz kam bereits bei den letzten Relaunches von Onlineplattformen zum Vorschein. So präsentierte unlängst der «Blick» seine überarbeitete Onlinepräsenz, bei der Agenturmeldungen nur noch am Rande in Erscheinung treten. «Ausserdem wollen auch Journalisten, die sonst hauptsächlich in Printmedien schreiben, immer häufiger ihre Artikel auch online veröffentlichen. Denn sie wollen dort publizieren, wo die Leser sind», erklärt Hannes Britschgi, Leiter der Ringier-Journalistenschule.

Trotzdem steckt der Schweizer Onlinejournalismus noch immer in den Kinderschuhen. Nur mit Bildstrecken, einigen eingebetteten Youtube-Videos und aktivierten Kommentarfunktionen kann noch keine Onlinerevolution ausgelöst werden. Neue ganzheitliche Ansätze sind gefragt; Journalisten, die bereits während der Recherche an die multimediale Umsetzung ihrer Geschichte denken. So kann sichergestellt werden, dass sich der Teufelskreis um den schlechten Ruf des Onlinejournalismus mit der Zeit verlangsamen und vielleicht sogar stoppen lässt. Nutzen wir also die Möglichkeiten des Internets und beginnen endlich Geschichten so zu erzählen, wie man sie dank technologischer Hilfsmittel am sinnvollsten widergeben könnte. Nur wer ausprobiert, kann auch weiterkommen. Vielleicht würden sich dann auch einige junge Journalisten zweimal überlegen, ob sie wirklich bis zu ihrem Berufsende für ein monomediales Printmedium arbeiten wollen.

 

Dieser Artikel wurde zuerst im Magazin zum SwissMediaForum 2012 publiziert. Dieses findet am 31. Mai und 1. Juni 2012 im KKL in Luzern statt.

1 Kommentar

Hallo Konrad

Genau so ist es. Doch auch die meisten Online-Redaktionen – mit den erwähnten löblichen Ausnahmen – schöpfen das Potenzial, das Online bietet, nicht aus – animierte Infografiken zum Beispiel.

Ich bin gerade zurück aus dem Süden Brasiliens. In Jaragua do Sul habe ich eine Regionalzeitung besucht. Ihre Webjournalistinnen und Webjournalisten drehen Videos und schneiden Audiobeiträge, obwohl die Printausgabe eine eher bescheidene Auflage hat.

Gruess
Matthias

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