Wie Whatsapp zum neuen Nachrichtenmedium wurde

Jugendliche Mediennutzer sind nicht mehr auf klassische Kanäle der News-Berichterstattung angewiesen. Längst teilen sich relevante Nachrichten über geschlossene Communities, vornehmlich via Smartphone. Dies stellt Journalisten vor mehrere Herausforderungen. 

Schlamm, Erdrutsche und überall trübes Wasser: In den vergangenen Tagen wurde die Schweiz einmal mehr von Wetterextremen getroffen. Bergbäche überfluteten, rissen Bäume, Brücken und Häuser mit. In all dem Chaos versuchten Journalisten die unbegreifliche Zerstörung festzuhalten und anderen zugänglich zu machen. Doch oft waren die Kamerateams erst vor Ort, nachdem die Fluten bereits durch die Dörfer zogen.

Umso mehr sind Medienhäuser heutzutage auf Leser-Reporter angewiesen. In der Schweiz konnte die Gratiszeitung «20 Minuten» über Jahre eine Vormachtstellung im Kampf um das beste Bild etablieren. Geschieht ein Unfall oder tritt ein spezielles Wetterphänomen auf, füllt sich die Inbox bei «20 Minuten». Auch andere Medien können regelmässig aus dem Fundus von Augenzeugen-Inputs Geschichten realisieren – so auch in der News-Abteilung von Schweizer Radio und Fernsehen, in welcher ich arbeite.
Bereits 2006 gründete CNN aus diesem Grund eine eigene Redaktion und lancierte die Augenzeugen-Plattform «iReport».

Umgang mit User Generated Content

Doch unterdessen hat sich die Medienrealität verändert: Tatsächlich treffen bei grossräumigen Ereignissen noch immer unzählige Bilder und Videos in den Redaktionen ein, die Hintergründe dieser Inhalte sind jedoch oft nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Dies konnte bei den vergangenen Unwetter in der Schweiz deutlich beobachtet werden. Immer häufiger las ich in Zusendungen von Augenzeugen, sie hätten die Aufnahme nicht selbst gemacht, sondern zugespielt erhalten. Doch wie kommt dies?

Bei jungen Mediennutzern hat sich Whatsapp als wichtigste Kommunikationsplattform etabliert.

 Konkrete Nutzungszahlen für die Schweiz liegen leider keine vor. Einzig eine Annäherung wurde vor einem Jahr publiziert: Die Agentur «jim&jim» befragte 1500 Jugendliche, welche App sie am häufigsten nutzen. Die klare Antwort – mit fast zwei Drittel aller Nennungen – lautete Whatsapp. Auch Schweizer Lehrpersonen kommen zu diesem Schluss, wie Journalist Barnaby Skinner vor kurzem notierte. So ist nicht weiter erstaunlich, dass diese Plattform in Krisensituationen ebenfalls zum Austausch genutzt wird.

Beispiele zeigen, dass Bilder und Videos des Unwetters in den letzten Tagen als erstes in Gruppenchats unter Freunden geteilt wurden: Man datiert sich gegenseitig über Schäden, Wissenswertes und Betroffene in der Heimatregion auf. Ob den geteilten Inhalten der Weg in die Öffentlichkeit schliesslich gelingt, liegt einzig daran, ob in den Gruppenchats auch Personen mit einem «breiteren Mitteilungsbedürfnis» vorhanden sind.

Screenshots von Whatsapp- und Facebook-Nachrichten.
Ob auf Facebook in geschlossenen Gruppen oder via Whatsapp: Bilder und Videos des Hochwassers in Altstätten (SG) wurden rege geteilt.

Persönlichen Beobachtungen zufolge sind es oft junge Männer, die die Öffentlichkeit suchen. Diese leiteten bei SRF News Bilder und Videos weiter, oft mit der Mitteilung «Video wurde mir zugespielt, bin nicht der Urheber und kann deshalb keine Auskunft geben». Ein Phänomen, welches die Arbeit von Journalisten, die Inhalte verifizieren möchten, stark erschwert.

Herausforderungen für Redaktionen

Dieses neue Kommunikationsverhalten kann nicht verändert werden – zuletzt von uns Journalisten. Wie können wir also darauf reagieren? Ich sehe zwei Punkte als grosse Herausforderung für Redaktionen:

Input: Recherche, Verifikation und Rechteklärung der geteilten Inhalte

Wie können Journalisten nach Inhalten recherchieren, die in geschlossenen Communities geteilt werden? Werden Inhalte veröffentlicht, bei welchen der Urheber nicht eindeutig ausfindig gemacht werden kann? Wie funktioniert die journalistische Verifikation dieser Inhalte? Welche Rechtesituation liegt bei Inhalten vor, bei welchen die Urheber nicht eruiert werden konnten?

Diese und weitere Fragen tauchen bei solchen viralen Inhalten auf. Dazu müssen Redaktionen Antworten für die internen Arbeitsabläufe entwickeln. Wie bei übrigen Recherchen und Inhalten gilt allerdings auch hier: Journalisten können auf Bestehendes aufbauen. Ein Kontaktnetz an Personen in den Regionen hilft auch im digitalen Austausch.

Pro-Tipp: Wer sich mit Whatsapp nicht auskennt, fragt das (Enkel-)Kind oder den Redaktionspraktikanten.

Screenshot einer Facebook-Seite.
«Du bisch vo Bärn wede..»-Seiten können auch journalistisch genutzt werden.

Zusätzlich können wir Journalisten in der Schweiz uns ein Webphänomen des vergangenen Frühjahrs zunutze machen: Zu dieser Zeit sprossen lokale Facebook-Seiten mit dem Titel «Du bisch vo ..» wie Pilze aus dem Boden. Vor allem in solchen Facebook-Gruppen und -Seiten wurden in den vergangenen Tagen während des Unwetters unzählige Bilder und Videos geteilt.

Output: Wahrnehmung und bestenfalls virale Verbreitung der redaktionellen Inhalte in diesen Communities

Neben dem Input sollte auch die veränderte Rezeptionsart den Redaktionen zu denken geben. Während die gesamte Branche über die Entwicklung von Inhalten auf Mobilgeräten diskutiert, geht oft vergessen, dass diese Geräte und bestehenden Apps längst zum Standard jeglicher Alltagskommunikation gehören. Weshalb also das Rad neu erfinden?

Screenshot von Whatsapp-Nachrichten.
Text, Bilder und Videos zu den Wahlen in Indien lieferte BBC News via Whatsapp.

BBC News testete vor wenigen Wochen Whatsapp als Distributionskanal für publizistische Inhalte. Anlass der Berichterstattung bildeten die Wahlen in Indien. Mit Text-, Video- und Audioinhalten lieferten die Journalisten bis zu 20 Mal am Tag Updates zu Wahlergebnissen und Analysen. Die Rückmeldungen waren – laut BBC – überwältigend. Viele User fügten an, sie hätten auf diesem Weg endlich personalisierte Informationen erhalten, obwohl der Inhalt für sämtliche Empfänger derselbe war.

Einziger Nachteil: Die Ergebnisse des Tests bei der BBC konnten quantitativ nur sehr oberflächlich ausgewertet werden. Während bei Facebook-Posts und Tweets die Reichweite ziemlich genau bestimmt werden kann, verschwinden Inhalte in solch halbgeschlossenen Communities ohne Rückverfolgbarkeit.

Quelle Artikelbild: Standbild Youtube-Video topwegch (29.7.14)

6 Kommentare

Und wie viele Talerchen hat die BBC bei dem Versuch verdient? Der Run des journalistischen Nachwuchses auf FB, Twitter, WhatsApp, Snapcat, Vine, YouTube ist ja schön, aber wovon bezahlt der Jünger dieser Medien seine Miete? Bekanntlich zahlen die Nutzer dieser SocialMedien keinen rostigen Cent für ihre News. Bezahlt wird alles, auch das irrsingste von der Print-Zeitung, denn da kosten die News Geld. Von Recherche und Verifikation mal ganz abgesehen, wer bringt so etwas sauber hin, wenn zwischen Empfang der News und Verbreitung nur Minuten liegen. Hinzu lauern im Hintergrund ein Berg Verwertungsrechte- undUrheberprobleme. Einen Artikel in sauber geschriebenen Stil, der nicht nur an der Oberfläche rumwuselt, werde ich auf all diesen Medien kaum finden, dazu fehlt den Verfassern die Zeit. Wozu also die Eile, der Spiegel kommt auch nur einmal in der Woche und wird gekauft. Es kommt eben in erster Linie auf einen qualitativ guten Inhalt an. Grüße von einem Blogger.

[…] WHATSAPP Konrad Webers Blog: Wie Whatsapp zum neuen Nachrichtenmedium wurde: In seinem Blog schreibt Konrad Weber, der als Multimedia-Journalist beim Schweizer Radio und Fernsehen arbeitet, über WhatsApp als neues Nachrichtenmedium. Neben den auch in den Lesetipps schon vorgestellten Versuchen der BBC, Nachrichten via WhatsApp zu verbreiten, müssen Journalisten vor allem den Umgang mit via WhatsApp geteilten Informationen lernen. Wer schon einmal bei großen Ereignissen in einer geschlossenen Gruppe auf WhatsApp unterwegs war, wird erahnen, welchen Wert diese Informationen für recherchierende Journalisten haben kann. […]

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