Innovation im Journalismus: In 80 Tagen zur innovativen Medienorganisation

Wir brauchen nur genügend gute Ideen, dann werden wir die Herausforderungen des Medienwandels leicht meistern. Dieser Trugschluss begegnet mir oft, wenn ich Medienhäuser besuche und mit Journalistinnen und Journalisten über Innovation in der Branche spreche. Wer eine bestechende Idee hat, gilt schnell als innovativ. Doch Innovation gehört viel zu oft noch immer zur Kür statt zur Pflicht.

Steter Wandel ist die neue Konstante, wird einem auf jeder Branchenkonferenz um die Ohren gehauen. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, um über institutionalisierte Innovationsprozesse in Medienunternehmen zu sprechen.

Um Innovation ranken sich viele Mythen. Beginnen wir mit dem ersten klassischen Mythos:

«Du brauchst nur eine überzeugende Idee, dann wirst du Erfolg haben!»

Medienchefs früher™

Mag durchaus sein, dass die eine innovative Idee das eigene Medienhaus für die nächsten Jahrzehnte saniert. Doch das macht die richtige Zahlenkombination im Glücksspiel ebenfalls – bin ich deshalb bereits Multimillionär? Leider nein.

In vielen Unternehmen gleicht Innovation tatsächlich in erster Linie einem Zufallsprinzip. Eine Einzelkämpferin oder ein Einzelkämpfer versucht mit einer guten Idee im richtigen Zeitpunkt etwas zu bewirken. Mit viel Glück gelingt auch ein kleiner Erfolg, doch dieser ist oft nur von kurzer Dauer. Was fehlt, ist ein nachhaltiger Plan und eine wiederkehrende Umsetzung. Doch dazu weiter unten mehr.

Kommen wir also zum zweiten Mythos:

«Innovation ist immer risikoreich!»

Medienchefs heute

Dieser Mythos bringt mich zur Frage: Was ist eigentlich Innovation? Man könnte Innovation als Übergang von einem Status Quo zu einem nächsten definieren. In solchen Phasen geschieht ein Bruch mit dem Bisherigen, während das Neue noch nicht klar geformt ist. Das löst in erster Linie Angst und im schlimmsten Fall sogar Panik aus und wirkt deshalb für viele Unternehmer schnell als Risiko, das man besser verhindern sollte.

Im Gegenzug dazu riet der Schriftsteller Douglas Adams zu «Keine Panik!» im Umgang mit dem Neuen. In seinem neusten Buch «Das Pragmatismus-Prinzip: 10 Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen» beschreibt Dirk von Gehlen ein Modell von Douglas, das sich auf drei unterschiedliche Schritte bezieht:

  • Alles, was bereits existiert, wenn man geboren wird, nimmt man als selbstverständlich und normal hin.
  • Alles, was bis zum 30. Geburtstag erfunden wird, ist unglaublich spannend und kreativ, und mit ein wenig Glück bildet es die Grundlage für eine berufliche Karriere.
  • Alles, was nach dem 30. Geburtstag erfunden wird, widerspricht der natürlichen Ordnung der Dinge und ist ein Zeichen für den nahenden Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen. Das geht so, bis es etwa zehn Jahre im Markt ist. Dann stellt es sich als annehmbar heraus.

Gemäss Douglas müsste ein Unternehmen demnach einzig seine Mitarbeiter durch jüngere Personen austauschen und bereits sollte Innovation umsetzbar sein. So einfach ists dann doch nicht und ich bin klar überzeugt, dass Offenheit und Neugierde nicht abhängig vom jeweiligen Alter ist. Das Modell von Douglas mag in der Theorie stimmen, doch immer wieder begegne ich auch jüngeren Personen, die sogar skeptischer gegenüber Veränderungen sind als deren Eltern.

Wie kann Innovation im Unternehmen etabliert werden?

Neben dem erwähnten Zufallsprinzip könnte man zum gut gemeinten Schluss kommen, das Gegenteil sei zielführender: eine top-down installierte Innovationsfabrik.

Doch hier spricht einiges dagegen: Eine solche Innovationsfabrik benötigt viel Geld, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzustellen und die Organisationsstrukturen zu verändern. Das wiederum bedingt viel Zeit und verzögert den Innovationsprozess erneut. Ein Mittelding muss also her, angelehnt an die Startup-Denke: ein minimal überlebensfähiges Innovationsmodell – analog einem MVP (Produkt mit den minimalen Anforderungen und Eigenschaften).

Ein solches System bietet zum einen Verlässlichkeit und zum anderen Einfachheit und Schnelligkeit und umfasst nur die wesentlichen Bausteine für eine zuverlässige und strategisch ausgerichtete Innovationsfunktion.

Wie kann ein Innovationssystem aufgebaut werden?

Es kann gelingen, ein minimal überlebensfähiges Innovationsmodell in 80 Tagen im eigenen Medienunternehmen zu implementieren, allerdings müssen dazu einige Grundlagen geschaffen werden: Es braucht keine zusätzlichen Stellen, aber eine minimale Investition in Form einer verbindlichen Zusage inklusive entsprechendem Engagement einer langjährigen Führungsperson.

Und dann brauchts ein Verständnis des Prozesses.

Dieser ist wie folgt aufgebaut: In vier überlappenden Phasen wird zuerst der Innovationsschwerpunkt definiert, dann eine Fokussierung vorgenommen, um danach in einem neu zusammengestellten Innovationsteam Ideen zu entwicklen, welche anschliessend in ein Projekt-Controlling überführt werden. In jeder dieser vier Phasen fallen spezifische Aufgaben an, welche von unterschiedlichen Leuten im Unternehmen umgesetzt werden können. Um keine falschen Erwartungen zu schüren: Nach 80 Tagen sind nicht 100 Ideen da, sondern ein effizienter Prozess, um die richtigen Ideen zu identifizieren und diese zu entwickeln.

Schritt 1: Innovationsschwerpunkt definieren

Im ersten Schritt – bei der Definition des Innovationsschwerpunktes – hilft es zu wissen, dass es zwei Arten von Innovationen gibt:

  • Veränderungen des Kern-Business verbessern bestehende Produkte und Services und liefern vielfach einen schnellen Nutzen.
  • Neues Wachstum mit neuen Produkten oder eine Abdeckung neuer Marktsegmente anhang veränderter Business-Modelle verlangt eine längerfristige Entwicklung.

Schritt 2: Fokussierung

Je grösser Ihre Wachstumslücke ist, desto weiter vom Kern-Business entfernt müssen Ihre Innovationen sein, und desto länger dauert es, bis die Einnahmen aus ihnen realisiert sind. Wenn Ihre Wachstumslücke wirklich gross ist, sollten Sie Ihre Wachstumsinitiativen in zwei oder drei Kategorien einteilen. Das Aufarbeiten dieser Zahlen ist Aufgabe des Innovationsführers und sollte etwa zwei Wochen dauern.

Schritt 3: Entwicklungsteam bilden

Ab der dritten Woche des Innovationsprozesses stellen Sie Ihr Projektteam rund um eine Forschungsleiterin, einen Forschungsleiter und einige wenige Personen aus dem Unternehmen zusammen. Es reicht, wenn Sie sich für drei bis fünf Personen entscheiden. Dies ist oft ein besserer Ansatz als die Besetzung einer grossen Innovationsabteilung, die in erster Linie Arbeit schafft, um ihre Existenz zu rechtfertigen. 

Dieses Projektteam trifft sich mit ca. 12 Nutzern und versuchen in persönlichen Interviews möglichst viele Bedürfnisse aufzudecken und zu verstehen. Zugleich erstellen Sie einen Überblick der aktuellen Marktsituation und analysieren interne Entwicklungen. Oft weisen interne Initiativen auf strategische Ziele hin, die mehr Aufmerksamkeit des Managements erfordern könnten.

Sobald die Analysephase abgeschlossen ist, setzen Sie sich in Ihrem Projektteam einen Nachmittag zusammen und tauschen sich in einem Workshop über die gewonnene Erkenntnis aus. Ziel dieses Workshops ist die Formulierung einer Synthese, die den Fokus des Innovationsprozesses beschreibt. Dabei stehen drei unterschiedliche Handlungsbereiche zur Verfügung:

  1. Service, den viele Kunden brauchen, um ein Bedürfnis zu befriedigen, aber von keiner Konkurrenz angeboten wird.
  2. Technologie, die den Kunden dabei hilft, die Aufgabe schneller, billiger oder bequemer zu erledigen, oder ein regulatorischer, wirtschaftlicher oder sozialer Wandel, der die Notwendigkeit dafür verstärkt.
  3. Fähigkeit, die Ihnen einen Vorteil verschafft, oder ein Know-how, das Konkurrenten nicht kopieren können.

Vergessen Sie nicht: Fokussierung ist alles! Wer zu Beginn die falsche Synthese entwickelt, läuft später Gefahr, in die falsche Richtung zu innovieren. Auf Basis dieser Synthese kann das Projektteam jetzt nämlich eine Fülle von Ideen entwickeln. Das Team soll sich auch um etwa fünf Backup-Ideen kümmern, für den Fall, dass die ersten Ideen trotz allen Vorbereitungen nicht überzeugen.

Und nun zum dritten Mythos:

«Wir würden uns ja gerne weiterentwickeln, aber uns fehlen für die Innovation die Ressourcen.»

Medienchefs morgen

Innovation ist nicht teuer – wenn man sich denn wirklich dafür entscheidet. Eine Möglichkeit, dieser ständige Zwist im Unternehmen zu überwinden, besteht darin, «Zombie-Projekte» zu streichen. Diese sind gehende Untote, die langsam dahinschlurfen, aber nirgendwo hingehen. Solche Projekte vergeuden nur Ressourcen und verzögern viele interne Prozesse.

Eine sorgfältige Bestandsaufnahme Ihrer Innovationsbemühungen sollte diese ans Licht bringen. Was hilft: Die Einführung einer «Zombie-Amnestie», die es den Mitarbeitern erlaubt, zuzugeben, dass ihre Ideen nicht funktionieren, ohne dass sie eine Strafe erleiden.

Schritt 4: Projekt-Controlling entwickeln

Wie geht es nun weiter? Ab Tag 40 – der Hälfte des Prozesses – arbeitet Ihr Entwicklungsteam an den konkreten Projektideen auf Basis der Fokussierung, die gemeinsam festgelegt wurde. Um weiterhin schnell vorwärts zu kommen, erstellen Sie eine Steuerungsgruppe mit der Berechtigung, Projekte mit neuem Wachstum zu starten, zu stoppen oder umzuleiten. Die Mitglieder sollten hochrangige Führungskräfte sein und über Entscheidungskompetenz verfügen.

Für die nächsten Schritte im Prozess können Sie sich den Prozesses aus dem Startup-Business anlehnen. Zum einen sollte jedes Projekt einen Senior Sponsor haben, der fest an die Idee glaubt und diese verteidigt. Um Projekte weiterführen zu können, sollten diese nicht der Zustimmung der gesamten Gruppe bedürfen, denn die besten Ideen sind oft die polarisierendsten. Projektteams sollten auch in der Lage sein, einen bestimmten Geldbetrag ohne Genehmigung auszugeben – solange sie die Gesamtausgabenschwelle nicht überschreiten. Schliesslich sollten die Projekte mehr Mittel erhalten, nachdem sie die Hauptrisiken gelöst haben – genau wie Startups.

Bis zum 80. Tag sollte Ihr lebensfähiges Mindest-Innovationssystem vorhanden sein. Sie haben eine Reihe strategischer Möglichkeiten identifiziert und ein Entwicklungsteam und eine Überwachungsgruppe zusammengestellt. Und inzwischen sollte der Betrieb in Gang gekommen sein. Das bedeutet, dass ein Innovationsprojekt im Gange ist und die Überwachungsgruppe ihre erste Überprüfung durchgeführt hat. Aber denken Sie daran, dass das Einrichten des Systems nur der Anfang des Prozesses ist. 

Schritt 5: Was bleibt

Jetzt wissen Sie, wie man ein Innovationssystem aufbaut und in nur 80 Tagen einsatzbereit macht. Hier sind ein paar Dinge, die Sie beachten sollten: Sie können nicht zwischen den vier Schritten wählen. Alle Schritte sind miteinander verbunden, und jeder ist integral.

Man kann nicht beim Personal sparen. Wenn in Ihrer Unternehumg niemand voll und ganz auf neues Wachstum fokussiert ist, haben Sie sich entschieden, sich nicht darauf zu konzentrieren. 

Wie Sie Misserfolg behandeln, ist wichtiger als die Art und Weise, wie Sie Erfolg belohnen. Wenn Sie versuchen, Fehler zu vermeiden oder zu verbergen, werden Sie nur Zombie-Projekte hervorbringen, die alle Ihre Ressourcen aufsaugen. 

Lassen Sie uns deshalb gleich morgen anfangen. Und das tun wir am besten im Kleinen – in unserer täglichen Einstellung. Während viele von uns in erster Linie die Limiten sehen, lohnt es sich, mal einen umgekehrten Blickwinkel einzunehmen. Nur so schaffen wirs, eine neue Kultur in unsere Unternehmen zu bringen und damit zu glänzen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Innovationsprozessen in Ihrem Unternehmen gemacht? Schreiben Sie es mir in die untenstehenden Kommentare oder melden Sie sich via Twitter (@konradweber) – ich bin gespannt auf Ihre Antwort.


tl;dr

Innovation ist weder risikoreich noch teuer – wenn man sie denn konsequent angeht. Nur gerade mal 80 Tage benötigen Sie, um im eigenen Unternehmen einen nachhaltigen und zielführenden Innovationsprozess aufzubauen. Dieser umfasst vier überlappende Phasen: Definition des Innovationsschwerpunkts, Fokussierung der Entwicklungsrichtung, Aufbau eines Innovationsteams und Entwicklung eines Projekt-Controllings.


Dieser Artikel basiert auf meiner Keynote «Innovation in der Medienbranche – wie die Kür zur Pflicht wird» der Branchentagung media.innovations 2018 an der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien in München. Die Keynote kann hier auch als Videomitschnitt nachgeschaut werden.

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