Bereits seit Wochen wirbt Tamedia mit ihrem Zukunftsmodell des Journalismus: Eine neue iPad-App soll nebst dem werbefinanzierten Gratis-Portal Newsnetz als weitere Einnahmequelle Geld in die Kassen spülen. Ein erster Überblick über die Bezahl-App zeigt, dass diese mit viel Bedacht und Kreativität gebaut wurde. Welchen wirklichen Mehrwert die Applikation schliesslich bieten soll, wird nach der ersten Ausgabe mehr schlecht als recht beantwortet.
«Der Inhalt kommt vom Print, die Technologie vom Newsnetz», erklärt Martin Kall, CEO von Tamedia, im Anreisser der ersten iPad-Ausgabe des Tagesanzeigers. Dass die iPad-Zeitung gleich mit einem Eigenartikel in die «digitale Zukunft» startet, kann als Bekenntnis zur neuen Technologie von ganz oben oder aber auch als reine PR gewertet werden.
Die App ist relativ schnell installiert und funktioniert bereits beim ersten Aufstarten reibungslos. Eine App zu bauen, bei welcher man sogleich mit Lesen beginnen kann – einer der Hauptansprüche der Macher – wurde also erfüllt.
Weitere spannende Funktionen hat die iPad-Redaktion des Tagesanzeigers in dieser kurzen Video-Übersicht zusammengefasst:
Überzeugend wirkt meiner Meinung nach die Übersichtlichkeit, mit welcher die App programmiert wurde. Doch auch kleine Details, wie zum Beispiel die direkte Google-/Wikipedia-Suche bei einzelnen Wörtern, sind wohlüberlegt und scheinen im ersten Test zu funktionieren.
Im Zusatzmenü «Revue» will die Tagesanzeiger-iPad-Redaktion einen Rückblick auf die vergangene Woche mit den spannendsten und interessantesten Artikel zusammenstellen – ein richtiger und journalistisch sinnvoller Ansatz in Zeiten der immer unübersichtlicheren Nachrichtenflut.
Schaut man sich allerdings die Inhalte an, so wird schnell klar, dass die iPad-App vor allem mit «Zeitungscontent» abgefüllt wurde. Wie sich hier ein Mehrwert zur Print-, resp. Online-Ausgabe herauslesen lässt, scheint mir noch ziemlich fragwürdig. Futuristen könnten allerdings auch argumentieren, dass die Tablet-Applikation in ferner Zukunft die tägliche Printausgabe ablösen soll und die Printjournalisten künftig nur noch für Tablets schreiben.
Neben den Inhalten sollte den Machern der App sicher auch der Verbreitungskanal einige Sorgen bereiten. Bereits der Start der App hat sich auf Grund von Apples rigiden Zulassungskriterien um Tage verzögert. Andere Medienhäuser (Financial Times Deutschland, Wall Street Journal und künftig auch die NZZ) setzen dabei in erster Linie auf unabhängige HTML5-Plattformen, um sich nicht mehr Apples intransparentem Selektionsverfahren unterordnen zu müssen.
Nun hat der Tagesanzeiger mit seiner neuen App die Nase im Schweizer App-Markt allerdings wieder vorne, brachte doch die Analyse der aktuellen News-Apps auf dem iPad im vergangenen März Trauriges zu Tage. Ob Apps in Zukunft auch auf dem Schweizer Markt das einzig mögliche Rezept sind, um den Journalismus in der digitalen Zukunft zu retten, wird sich spätestens nach dem 31. Juli zeigen. Ab August will Tamedia für die neue iPad-App nämlich verschiedene Preismodelle einführen, um «Inhalte nicht länger gratis verschenken zu müssen».
Update 1 – 19. Juli 2011, 12.30 Uhr:
Henning Steier, Digital-Redaktor bei NZZ Online, hat sich die App ebenfalls angeschaut und anschliessend eine etwas ausführlichere Analyse geschrieben.
Update 2 – 19. Juli 2011, 18.00 Uhr:
Auch Nick Lüthi, Medienjournalist bei medienwoche.ch, hat die neue Tagi-App ebenfalls analysiert und hat bei Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer herausgefunden, dass die aktuelle Gratis-iPad-App des Tagesanzeigers (mit hauptsächlich Newsnetz-Inhalten) künftig eingestellt wird.