Digitale Transformation

Lügende Massenmedien

Sie sind Teil der modernen Geschichtsschreibung und aus dem Internet nicht mehr wegzudenken: Videos, welche die vermeintlich absolute Wahrheit des
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Sie sind Teil der modernen Geschichtsschreibung und aus dem Internet nicht mehr wegzudenken: Videos, welche die vermeintlich absolute Wahrheit des aktuellen Zeitgeschehens abbilden. Sie stillen das Bedürfnis des kritischen Mediennutzers und setzen dabei auf die bewährten Mechanismen des Teilens in sozialen Netzwerken.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Dieses Zitat hat sich in den vergangenen Tagen einmal mehr selbst bestätigt. Online-Videos, welche die vermeintlich absolute Wahrheit des Geschehenen erklären wollen, tragen dazu bei. Mit Titeln wie «Medien lügen gnadenlos», «Verschwörung der Medien aufgedeckt» oder «Lügenkonstrukt deutscher Medien» werben sie um Klicks. Jüngstes Beispiel: die unübersichtliche Lage in der Ukraine.

«Bewusste subjektive Berichterstattung»

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Seit Beginn der Demonstrationen im November 2013 berichten internationale Medien über die Geschehnisse an der Grenze von Europa zu Russland. Mit dem Ausbruch der Massenproteste und den unzähligen Verletzten und Toten in Kiew, eskalierte die Lage – und zwar nicht nur auf den Strassen, sondern auch im Netz. Dort sind innerhalb von wenigen Tagen unzählige professionell gestaltete Online-Videos zu vermeintlichen Lügen in der Berichterstattung der Massenmedien aufgetaucht. In Dokumentarberichten – vertont mit einer gemächlichen und einfühlsamen Off-Stimme – erklären die Macher, wie das internationale Journalistenkollektiv bewusst subjektiv von den Ausschreitungen berichte.

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[lightgrey_box]«Viele Menschen sind Opfer der russischen Propaganda», analysiert SRF-Korrespondent Peter Gysling. [/lightgrey_box]

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Die Wochenwebschau der ARD, produziert von Radio Bremen, hat mich dazu interviewt.


Beitrag ab Minute 3:18.

Dass sich diese Videos mit einem Abbild der vermeintlichen Wahrheit in Windeseile ausbreiten und somit unzählige Male angeschaut werden, hat meiner Meinung nach drei Gründe:

  1. Unübersichtlichkeit: Die Informationslage ist nicht nur in den weit entfernten Redaktionsstuben, sondern auch direkt vor Ort sehr schwierig einzuschätzen. Zwar dienen die sozialen Netzwerken den Journalisten als weitere Informationsquelle, welche das Bild vor Ort ergänzen. Wird der Lärm lauter, wird es jedoch auch umso schwieriger, die einzelnen Töne voneinander zu unterscheiden. Dies macht es wiederum einfacher, zu behaupten, die auf Ausgewogenheit fokussierenden Medien würden nicht jeden Ton übertragen, resp. aus jeder Regung einen Beitrag oder Artikel produzieren.
  2. Kritische Mediennutzung: Durch die sozialen Netzwerke können sich Nutzer erstmals selbst ein (vermeintlich wahres!) Bild der Lage vor Ort verschaffen. Dies hat die Nutzer gelehrt, jeglichen Informationen von offizieller Seite oder einem Absender mit wirtschaftlichen Interessen sofort zu misstrauen. Wenn allerdings eine Information auftaucht, die gegensätzlich zu dieser «Mainstream-Öffentlichkeit» steht, stellt dies ein gefundenes Fressen für die teilwütige und per se skeptische Nutzerschaft dar. Was daraufhin geschieht, ist klar: Dieser Inhalt wird sogleich als die unterdrückte Wahrheit dargestellt und wiederum geteilt.
  3. Geschwindigkeit: Wer Informationen überprüfen will, braucht Zeit. Deshalb ist es extrem schwierig, unter Zeitdruck wahre Fakten von nur teilweise fälschlichen Informationen und diese wiederum von bewussten Irreführungen zu unterscheiden. Dank neuer Technologien lassen sich Informationen in Echtzeit mit nur einem Knopfdruck teilen – egal ob der Inhalt richtig oder falsch ist. Dabei verbreiten sich Erstinformationen ungleich schneller und erreichen eine grössere Nutzerschaft als die Korrektur davon, falls diese überhaupt verfasst wird.

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Die Verantwortung liegt am Ende beim Nutzer aber auch bei uns Journalisten. Dass die Nutzer kritischer wurden, ist eine positive Tatsache. Allerdings sollte diese kritische Haltung auf sämtliche im Netz gefundenen Inhalte angewandt werden.

Zugleich stelle ich fest, dass Verschwörungstheorien seit 9/11 um ein Vielfaches zugenommen haben. Einerseits ist es der Reiz des Nicht-bis-ins-letzte-Detail-Aufgeklärte, der laufend neue Nutzer und deren Theorien anzieht. Andererseits entstand mit dem Internet aber auch eine Plattform, auf der jeder Nutzer seine Sicht der Lage kundtun kann. Die Zunahme dieser Verschwörungstheorien sehe ich allerdings auch als Alarmzeichen an uns Journalisten: Aus Fehlern – die durchaus in der täglichen Berichterstattung immer wieder geschehen – entsteht ein genereller Zweifel an der Arbeit der Medien.

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[lightgrey_box]Zwischen Objektivität und Propaganda: Breitband, eine Sendung von Deutschlandradio Kultur, analysiert den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in den Medien.

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Symbolisch dafür sprechen die unzähligen Kommentare unterhalb dieses Facebook-Posts. Die Tagesschau der ARD hat dabei einen Ausschnitt meines Interviews ohne weitere Einbettung des Themas auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht. Damit war die Lunte gelegt.

 

Das Vertrauen – höchstes Gut des Journalisten – wurde in den vergangenen Jahren immer wieder geritzt. Vor allem in Zeiten der Informationsflut ist es deshalb umso wichtiger, dass Journalisten als vertrauenswürdige Leuchttürme agieren, Fakten kuratieren und über ihre Selektionsprozesse transparent informieren. Nur so können wir dazu beitragen, dass das Publikum den Medienschaffenden wieder vermehrt traut.

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