Digitale Transformation Praxisbeispiel

Wie Medienhäuser den Wandel zum hybriden Newsroom meistern

New Work im Journalismus: 10 konkrete Fragen und 3 Praxisbeispiele zur Entwicklung neuer hybrider Prozesse in der Redaktion nach der Pandemie.
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Die vergangenen Monate im Homeoffice-Modus haben eines aufgezeigt: Das Konzept des klassischen Newsrooms (man sperre sämtliche Mitarbeitende möglichst nah zusammen, damit sich diese hoffentlich bestmöglich austauschen) wurde überholt. Doch hat das Konzept tatsächlich ausgedient?

Eine nüchterne Analyse zeigt: Statt direkt die Auflösung sämtlicher Newsrooms zu propagieren, sollten Medienhäuser vielmehr die Vor- und Nachteile der Arbeit vor Ort und im Homeoffice objektiv analysieren und gemeinsam im Team neue Prozesse und Organisationsformen entwickeln.

Hier finden Sie 10 Fragen, die bei diesem kollaborativen Prozess weiterhelfen können – sowie 3 Praxisbeispiele, wie andere Redaktionen mit der neuen Realität des «hybriden Newsrooms» umgehen.

New Work im Journalismus

Stärker als je zuvor haben wir in den vergangenen Monaten gelernt, aus verschiedenen Welten das Beste zu kombinieren: Sowohl die digitale Arbeit auf Distanz (effizient, asynchron, inklusiv), als auch die Arbeit im Team vor Ort (kreativ, synchron, integrierend) haben ganz spezifische Vorteile.

In einer länderübergreifenden Studie hat der Medienberater Marcus Hebein 36 Redaktionen im DACH-Raum zu ihren Produktionsprozessen im Homeoffice befragt. Der logische Schluss der Studie: Von den Chefredaktor:innen bis hin zu den Journalist:innen fehlt «der ungezwungene, informelle Austausch in der Kaffeeküche nahezu allen».

Die Studie zeigt weiter auf, dass künftig mindestens ein Drittel der Journalist:innen regelmässig auch von zu Hause arbeiten wird. Dieser Wert deckt sich mit Studien aus anderen Branchen. Eine Auseinandersetzung mit der «New Work»-Realität macht demnach aus zweierlei Hinsicht Sinn:

  • Aus interner Sicht müssen neue Organisationsformen und Prozesse entwickelt werden, um sowohl Arbeitstätigkeiten vor Ort als auch Mitarbeitende im Homeoffice sinnvoll miteinander verknüpfen zu können.
  • Aus externer Sicht kann sich kaum ein Medienhaus der neuen Realität verschliessen. Längst gehören flexible Arbeitsmodelle zum Wettbewerbsvorteil, um neue Talente (und nicht nur jüngere Mitarbeitende) anziehen und langfristig an das Unternehmen binden zu können.

Neue Abläufe und Spielregeln gemeinsam im Team entwickeln

Unabhängig davon, wie hoch der Anteil an Arbeit vor Ort oder im Homeoffice künftig sein wird: Wichtiger als das Festsetzen eines spezifischen Wertes ist die Entwicklung neuer Abläufe und Spielregeln innerhalb des Teams. Längerfristig haben diese neuen Prozesse und Organisationsformen allerdings nur Erfolg, falls sie von Beginn an gemeinsam im Team entwickelt werden. Diese 10 Fragen können dabei behilflich sein:

  • Welche Tätigkeiten benötigen keinen direkten Austausch im Team?
  • Welche Arbeitsschritte wurden durch die Umstellung zur Arbeit im Homeoffice effizienter?
  • Inwiefern und bei welchen Prozessen litt die Kreativität aufgrund der Distanz?
  • Inwiefern hat die Qualität des Produktes zu- resp. abgenommen?
  • Welche neu etablierten Formate der Zusammenarbeit haben sich bewährt und sollten beibehalten werden?
  • Welche technischen Tools haben in den vergangenen Monaten die Zusammenarbeit erleichtert und sollten deshalb weiterhin genutzt werden?
  • Verstehen sich auch auf Distanz nach wie vor alle Mitarbeitende als Mitglied des Teams und wie kann dies auch künftig gewährleistet werden?
  • Inwiefern hat die neue Arbeitsteilung zu neuen Rollen und einer Veränderung in der Hierarchie geführt?
  • Wie lassen sich Mitarbeitende, die neu zum Team stossen, auch auf Distanz integrieren?
  • Wie oft und zu welchem nächsten Zeitpunkt sollen diese Fragen im Team erneut überprüft werden?

Es kann durchaus hilfreich sein, für die Organisation und Moderation solcher Prozesse eine aussenstehende und unabhängige Person beizuziehen. Lassen Sie mich wissen, falls Sie hierzu Unterstützung benötigen – oder sich erstmal unverbindlich austauschen möchten.


Wie organisieren sich andere Medienhäuser?

3 Fragen an 3 unterschiedliche Redaktionen: Wie organisieren sich eine Lokalzeitung, eine rein digital publizierende Redaktion und eine grosse Tageszeitung?

Hannah Suppa, Chefredakteurin Leipziger Volkszeitung

Porträt von Hannah Suppa
Hannah Suppa, Chefredakteurin Leipziger Volkszeitung

Wie viele Leute werden prozentual in deiner Redaktion nach den Sommerferien wieder vor Ort arbeiten und wie habt ihr euch für diesen Anteil entschieden?

Die Besonderheit bei der LVZ ist, dass wir während Corona einen neuen Newsroom gebaut haben. Dieser war bereits vor der Pandemie geplant und mitten während der Pandemie haben wir angefangen zu bauen. Künftig haben wir zwei grosse Newsrooms: Einer, in dem die Distribution stattfinden soll, in welchem die Kolleg:innen die Inhalte verarbeiten, die Seiten steuern, die Zeitungsseiten machen. Der andere Newsroom ist der Reporter-Newsroom, in welchem künftig die Reporter:innen sitzen – auch hier nach der Pandemie in einer angepassten Form mit vielen Rückzugsmöglichkeiten, einem grossen Tisch, einer Lounge-Ecke, einer Begegnungsküche.

Künftig ist es den Reporter:innen selbst überlassen, wo sie ihre Artikel schreiben. Das kann im Homeoffice, auf dem Parkplatz oder eben auch im neuen tollen Newsroom sein. Auf jeden Fall haben sie immer die Möglichkeit, sich hier aufzutanken, sei es mit Gedanken, mit Strom oder mit Kaffee. Dieser Newsroom wird im August fertig sein und der andere Distributions-Newsroom ist seit März fertig. Seither sitzen wir in einer kleinen Besetzung bereits hier, werden aber zum Ende der Sommerferien hier in Sachsen (Anfang September) sukzessive wieder einige Leute zurückholen. Prozentual kann ich das nicht so richtig beziffern, da wir gerade noch am ausrechnen sind, wie viele tatsächlich zurückkommen werden.

Im Distributions-Newsroom hätte ich schon gerne den Grossteil perspektivisch wieder da, weil wir doch merken, dass wir viel Reibungsverlust haben im Bearbeiten der Themen, im Layouten der Seiten. Bei den Reporter:innen finde ich das etwas anders: Da fand ich es schon immer gut, wenn die viel unterwegs sind und die Geschichten von der Strasse auflesen und direkt schreiben. Da wir auch digital first arbeiten, ist das sowieso kein Problem mehr.

Welche neuen Formen & Formate der Zusammenarbeit haben sich in den letzten Monaten etabliert, welche ihr auch künftig weiterführen wollt?

Die Digitalkonferenzen, bei welchen sich auch Leute von unterwegs zuschalten können, finde ich super. Diese Redaktionskonferenzen führen wir auf jeden Fall digital weiter. Die grösseren Runden, bei welchen wir alles zwei Wochen längerfristige Themen planen, würde ich gerne irgendwann wieder auf Präsenz umstellen. Da kommt manchmal in der Digitalkonferenz die kreative Atmosphäre nicht so wirklich auf.

Als Lokalzeitung mit 6 Lokalredaktionen ist es definitiv einfacher, sich digital zu treffen. Das werden wir auf jeden Fall beibehalten und Abspracherunden weiterhin digital machen, damit nicht alle extra hierher reisen müssen. So haben wir auch stärker die Chance, alle Leute mitzunehmen, als früher als es nur eindimensionale Kommunikation gab. Zudem arbeiten wir aktuell viel stärker via Messenger-Funktion von Slack. Die letzten Monate haben diese Form der Kommunikation nochmals gefestigt, das ist super.

Welches ist dein persönliches Learning der vergangenen Monate in Bezug auf die Zusammenarbeit im (remote) Team?

Mein Learning ist, wie viel eigentlich so geht, wenn man muss. Und gleichzeitig, wie sehr doch der persönliche Kontakt und Austausch miteinander fehlt. Ich glaube, dass gerade Journalismus von der Idee lebt, die auf dem Flur entsteht, wenn man miteinander ins Gespräch kommt. Das fehlt total und das wünsch ich mir ganz dringend zurück.

Frederic Huwendiek, Redaktionsleiter von «ZDFheute»

Porträt von Frederic Huwendiek
Frederic Huwendiek, Redaktionsleiter ZDFheute

Wie viele Leute werden prozentual in deiner Redaktion nach den Sommerferien wieder vor Ort arbeiten und wie habt ihr euch für diesen Anteil entschieden?

Zuletzt haben rund drei Viertel der Kolleginnen und Kollegen aus dem Homeoffice für uns gearbeitet. Sollte sich die Pandemielage im Herbst nicht wieder verschlechtern, planen wir nach und nach weitere Mitarbeiter:innen zurück in den Sender zu holen. Das gilt insbesondere für unser Newsteam: Im sekundenaktuellen Online-Nachrichten-Geschäft vereinfacht es die Zusammenarbeit enorm, wenn man einer Kolleg:in zum Beispiel kurz etwas zurufen kann – und dafür nicht erst MS Teams bemühen muss. Da liegt im Moment viel Koordinationslast auf den CvDs.

Welche neuen Formen & Formate der Zusammenarbeit haben sich in den letzten Monaten etabliert, welche ihr auch künftig weiterführen wollt?

Am Ende müssen wir schauen, was möglich und sinnvoll ist. Grundsätzlich hat vieles deutlich besser funktioniert, als ich mir das hätte träumen lassen. Das gilt gerade auch für Planungs-, aber auch für Autor:innen und Reporter:innen-Tätigkeiten. Unsere in der Pandemie viel beschäftigten Faktenchecker:innen waren zum Beispiel während der gesamten Zeit zuhause. Auch Konferenzen funktionieren für mich sehr gut, sind ziel- und ergebnisorientiert, auch wenn ich die leidenschaftlich geführten Themendebatten mit einem echten Gegenüber vermisse. Was mich besonders überrascht hat: Selbst bei Remote-Workshops kann man zu richtig guten Ergebnissen kommen.

Welches ist dein persönliches Learning der vergangenen Monate in Bezug auf die Zusammenarbeit im (remote) Team?

Es ist wahnsinnig viel möglich remote, in vielen Aspekten wird unser Arbeit dadurch konzentrierter, flexibler und effektiver. Homeoffice kann auch ein Weg sein, um Privat- und Familienleben und Job noch besser unter einen Hut zu bekommen – die Homeschooling-Ausnahmelage einmal ausgeklammert. Gleichzeitig geht vieles verloren, das die Zusammenarbeit mit anderen Menschen so bereichernd macht. Gerade als Führungskraft vermisse ich den direkten Kontakt zum Team, den anlasslosen Austausch, die Zwischentöne. Das ersetzt kein GIF im Konferenz-Chat.

Porträt von Martin Kotynek
Martin Kotynek, Chefredakteur «DER STANDARD»

Wie viele Leute werden prozentual in deiner Redaktion nach den Sommerferien wieder vor Ort arbeiten und wie habt ihr euch für diesen Anteil entschieden?

Seit 1. Juli können alle STANDARD-RedakteurInnen auch wieder ohne Anmeldung ins Haus kommen, sofern sie geimpft, getestet oder genesen sind. Wir stellen es RedakteurInnen weiterhin frei, von wo aus sie arbeiten. Alle Redaktionskonferenzen werden auch weiterhin remote zugänglich sein. Beim STANDARD bekennen wir uns zur Möglichkeit, Homeoffice zu machen, zunächst bis zum Jahresende – für die Zeit danach entwickeln wir eine Lösung.

Welche neuen Formen & Formate der Zusammenarbeit haben sich in den letzten Monaten etabliert, welche ihr auch künftig weiterführen wollt?

Alle zwei Wochen treffen wir uns abends virtuell zu einem «Plaudertreffen». Die Teilnahme ist freiwillig, meist kommt ein Drittel bis die Hälfte der Redaktion. Alle können Themen einbringen, die ihnen wichtig sind. Bisher haben wir über inhaltliche Zugänge diskutiert, organisatorische Probleme gelöst, uns einander vorgestellt (wir haben während Corona einige neue KollegInnen angestellt, die noch nie in der Redaktion waren), und auch externe Gäste wie den Vizekanzler sowie ParteichefInnen zur Site-/Blattkritik zu Gast gehabt. Nach einer Sommerpause wollen wir das fortführen.

Welches ist dein persönliches Learning der vergangenen Monate in Bezug auf die Zusammenarbeit im (remote) Team?

Vor Corona konnten nur so viele RedakteurInnen an unseren Redaktionskonferenzen teilnehmen, wie in unseren Konferenzraum gepasst haben. Heute nehmen meist 40 KollegInnen an den Konferenzen teil, manchmal auch auf dem Weg zu Terminen. Unsere Diskussionen sind dadurch vielfältiger geworden, mit mehr Perspektiven. Das tut unserer Berichterstattung und Kommentierung gut, weil nun mehr Stimmen zu Wort kommen.

Fragen? Andere Beispiele?

Wie erleben Sie die Umstellung hin zu einer neuen, hybriden Realität? Welche der erwähnten neuen Formen der Zusammenarbeit sind auch in Ihrem Unternehmen anwendbar? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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