Nur knapp jede vierte Person, über die in der Schweiz medial berichtet wird, ist weiblich. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Universität Zürich. Das hängt auch damit zusammen, dass in den allermeisten Redaktionen Frauen noch immer in der Minderheit sind. Ein Blick hinter die Kulissen des Bayerischen Rundfunks zeigt, wie das BR Frauennetzwerk mit seiner neuen Strategie diese Herausforderung angehen will.
Diversity-Initiativen bei Verlagen und Medienhäusern
Immer mehr Verlage und Medienhäuser gehen dieses Thema seit einigen Jahren nun aktiver an – auch aus wirtschaftlichen Gründen: Längst wurden (junge) Frauen als unterrepräsentierte, aber wirtschaftlich interessante Nutzergruppe eruiert. So hat zum Beispiel der Schweizer Verlag Ringier eine EqualVoice-Initative lanciert, welche unterdessen von zahlreichen anderen Medienhäusern kopiert wurde.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat die BBC mit ihrem 50:50-Projekt für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Kern des Anliegens ist es, dass Frauen wie Männer in Medieninhalten gleichermassen repräsentiert werden. Das Projekt soll den Medienmacher:innen dabei helfen, neue Stimmen zu entdecken, die das Publikum, das sie bedienen, besser widerspiegeln. Unterdessen haben sich über 100 Partner in 26 Ländern dem Vorhaben angeschlossen und lassen ihren Geschlechter-Anteil in Medieninhalten regelmässig auswerten.
Doch nicht nur in den Medieninhalten ist das Geschlechterverhältnis unausgeglichen – auch auf Führungsstufe. Obwohl Studien bereits vor über fünf Jahren zum Schluss kamen, dass Unternehmen mit diverseren Teams im Topmanagement wirtschaftlich profitabler sind, hat sich in den letzten Jahren in den Führungspositionen der Medienhäuser nach wie vor wenig verändert.
Frauenmangel beim Bayerischen Rundfunk
In Deutschland haben sich beim Bayerischen Rundfunk (BR) bereits in den 90er Jahren Frauen ehrenamtlich und ohne offiziellen Status zusammengeschlossen, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzustehen. Damals wie heute waren die Anliegen dieselben: Die mangelnde Repräsentation von Frauen in den Führungsetagen und damit auch im Programm zu beheben.
Die Probleme sind auch 2021 noch nicht behoben. Trotzdem hat sich unterdessen einiges getan – allem voran hat sich das lose Frauennetzwerk einen Namen «Female for Future» gegeben und mit Hilfe der OKR-Methodik eine Strategie entwickelt. Andrea Mittlmeier ist ausgebildete Journalistin und arbeitet seit 13 Jahren im BR. Aktuell ist sie als OKR-Coach und Referentin Teil des Leitungsteams der Abteilung Softwareentwicklung und Plattformen. Die Abteilung entwickelt für den BR verschiedene Apps, Blogs, Anwendungen für Sprachassistenten und Webseiten.
Als im letzten Jahr der BR-Intendant Ulrich Wilhelm seinen Rückzug angekündigt hatte, habe die Arbeit des Frauennetzwerks deutlich an Fahrt aufgenommen, erklärt Andrea Mittlmeier. «Die Zeit war reif für eine Frau an der Spitze und das haben wir als BR Frauennetzwerk mit einem offenen Brief eingefordert. Als dann mit Dr. Katja Wildermuth wirklich die erste Intendantin des BR gewählt wurde, hat uns das ordentlich Schub gegeben.»
Untereinander würden die Netzwerk-Teilnehmer:innen – unterdessen 400 Frauen und Männer – einen sehr wertschätzenden und kollegialen Umgang miteinander pflegen, erklärt Andrea Mittlmeier. «Wir beraten und empowern uns gegenseitig, z.B. wenn sich eine von uns auf eine Stelle bewirbt, Probleme mit dem Chef hat oder nicht angemessen gefördert wird. Wir sind also das Beste aus klassischer Interessensvertretung und Female Buddy.»
Mittels OKR zu einer Diversity-Strategie
Mit einem Anteil von 35% sind Frauen im BR auf Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert. Um diesen und weitere Pain Points anzugehen, hat das Netzwerk eine Strategie mit Hilfe der OKR-Methodik entwickelt. Die Vision im Kern dieser Strategie ist klar: «Ein BR in dem alle Mitarbeitenden unabhängig von Geschlecht und persönlicher Situation gleiche Chancen auf Teilhabe, Entfaltung, Führung und Sichtbarkeit haben.»
Früher seien Diskussionen vom Hundertsten ins Tausendste abgeglitten. Es gab stets zu viele Baustellen und man habe versucht, alle Probleme gleichzeitig zu lösen. «Durch die OKR ist jetzt allen klar, welchen Weg wir verfolgen, welche Themen wir angehen und welche nicht. Wir haben Transparenz, Fokus und Alignment hergestellt», so Andrea Mittlmeier.
Resultat dieses OKR-Prozesses sind fünf strategische Initiativen:
- Die Initiative «Sichtbar sein» bündelt offene Veranstaltungen des Netzwerks und macht die Inhalte im BR sichtbar.
- Die Initiative «Female Buddys» sorgt für Vernetzung untereinander und gegenseitiges Lernen.
- Die Initiative «Laut sein» ist als Sprachrohr in Richtung Geschäftsleitung gedacht.
- Die Initiative «Teil einer Bewegung sein» stellt die Vernetzung mit anderen Gruppierungen sicher.
- Die Initiative «Klar sein» soll dem Netzwerk selbst helfen, sich besser aufzustellen.
In jeder Initiative gibt es Etappenziele, die bis zum Herbst in kleinen, selbstorganisierten Teams angegangen werden sollen. Nach dem ersten Sprint werde analysiert, ausgewertet und nachjustiert.
Geteilte Spielregeln und intrinsische Motivation als Geheimrezept
Ein grosser Vorteil dieses Strategieprozesses sei die ganzheitliche Herangehensweise gewesen: Das Team musste sich nicht an Abteilungsgrenzen halten, konnte mit einer übergreifenden Vision den Prozess anpacken und erst im Nachgang die passende Organisationsform entwickeln.
«Wir haben ausserdem gerade erlebt, wie effizient selbstorganisierte Teams arbeiten, wenn sie intrinsisch motiviert sind», erklärt Andrea Mittlmeier. Dabei habe geholfen, dass im allerersten Treffen gemeinsame Spielregeln definiert wurden: Trust the Team, das heisst übersetzt, wer nicht dabei sein kann, vertraut den Anwesenden, dass sie ebenfalls kluge Entscheidungen treffen.
Andrea Mittlmeier sieht im OKR-Framework viel Potenzial, um dies auch in anderen Organisationsbereich einzusetzen. Ob allerdings der gesamte BR als grosse, gewachsene Organisation eines Tages wirklich nach OKR arbeiten werde, könne sie schwer einschätzen. Der erste Schritt in eine agilere und diversere Zukunft des öffentlich-rechtlichen Medienhaus wäre zumindest gelegt.
3 Tipps von Andrea Mittlmeier zur Arbeit mit OKR
Suche deinen Nordstern!
Es wirkt erstmal ganz schön abstrakt und du würdest gerne mit Zielen und deren Umsetzung starten, statt dich mit diesem lästigen Überbau von Vision-Mission-Strategien herumzuquälen. Aber ohne Nordstern weisst du nicht, wonach du dein Handeln ausrichten sollst. Für diesen Schritt solltest du ausreichend Zeit einplanen, weil er die Basis für den Rest darstellt.
Wikipedia reicht nicht!
Bei OKR gibt es nicht die eine, reine Lehre, vielmehr haben sich bereits verschiedene Sichtweisen und «Schulen» entwickelt, die z.B. die Key Results unterschiedlich interpretieren. Da hilft es sehr, wenn man einen ausgebildeten, professionellen Coach an der Seite hat, der/die sich intensiv mit der Materie beschäftigt hat und immer wieder für Klarheit sorgt.
Inspect and Adapt
An manchen Stellen muss man es auch mal gut sein lassen können. Manche Ziele sind wirklich schwer mit messbaren Key Results zu versehen. Manchmal hilft es mehr, im ersten Quartal die Methodik und das Entfalten der OKR-Magie, wie alles ineinander greift, erlebbar zu machen. Das motiviert, es im nächsten Sprint noch besser machen zu wollen. Trotzdem sollten ein paar Dinge nicht optional sein: Teilnahme an den Strategie-Absprachen zum Beispiel, OKR als einziges Zielsystem und das aktive Commitment durch die Führung.
Fragen? Andere Beispiele?
Haben Sie selbst bereits mit der OKR-Methodik Erfahrungen gesammelt? Wie steht es um das Thema Diversity in Ihrem Unternehmen? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!
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