Mitten in Berlin hat Axel Springer einen Neubau erstellt, der nicht nur architektonisch neue Standards setzt, sondern auch neue Arbeitsformen etablieren soll. Keine fixen Arbeitsplätze, viel offener Raum und gemeinsame Standards in der technischen Infrastruktur sollen flexibles und mobiles Arbeiten unterstützen. Ein Blick hinter die Kulissen eines gigantischen Veränderungsprozesses.
In der Planungsphase des Neubaus hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass der Axel-Springer-Neubau für dereinst 3000 Mitarbeiter:innen fast gänzlich leer eröffnet werden wird. Deutschland steckte mitten in der zweiten Corona-Welle, als Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner im Herbst 2020 zur Eröffnung des neuen Gebäudes lud. Die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden arbeitete derweil im Homeoffice.
Aus dem mobilen Office verfolgte auch Anika Giese die Eröffnung des Neubaus. Giese ist Transformation Partnerin innerhalb des Axel Springer News Media National Segments und verantwortlich für BILD und WELT. In dieser Rolle leitet sie die Transformationsprojekte auf Markenebene und ist dabei Ansprechpartnerin für Geschäftsführung und Mitarbeitende. Sie selbst sieht sich als Übersetzerin zwischen Vision und Business Zielen des Managements und dem operativen Geschäft der Medienmarken und ihren kreativen Macher:innen.
Sie plant strategische Projekte und sorgt dafür, dass Fachthemen kompetent betreut und weiterentwickelt werden. Für die Begleitung und Umsetzung kommen dann meist Agile Coaches und andere Zentralfunktionen, wie «Learning & Development», «Talent Attraction» oder «Communication» massgeblich hinzu.
«Aktuell scheint nicht die digitale Transformation selbst die grösste Herausforderung, sondern die Veränderung der gesamten News Media National-Kultur. Durch eine nachhaltige Organisationsentwicklung und Ausgestaltung des Arbeitsformenkonzepts entsteht Wirkung und Innovation für Journalist:innen, Geschäftsmodelle und Content», erklärt Anika Giese.
Der bewusste Umgang mit Mitarbeiter:innen – oder «People management», wie es bei Axel Springer heisst – gewinne aktuell stark an Bedeutung innerhalb des Unternehmens. Speziell in dieser «Corona-müden Phase» kann der zentrale Newsroom und auch ein neues Gebäude allein diese Strahlkraft nicht erzielen, weiss die Transformation Partnerin.
Hybride Arbeitsformen ab Tag 1
Dass seit der Eröffnung des Neubaus erst wenig Leute tatsächlich vor Ort arbeiten konnten, sieht Giese allerdings nicht als Bremse der digitalen Transformation – im Gegenteil: «Das Haus konnte zwar noch vollends als Ort der Zusammenkunft mit Leben erweckt werden. Trotzdem hat uns die Pandemie-Situation in den vergangenen Monaten stärker zusammengebracht und neue Arbeitsformen gezwungenermassen gleich einem Realitätscheck unterworfen.» Dadurch hätten sich ganz natürlich auch Learnings für die spätere hybride Zusammenarbeit ergeben.
Auf 52’000 m² Bürofläche – etwas mehr als 7 Fussballfeldern – arbeiten seit Herbst u.a. die Redaktion von WELT Print und WELT Digital, WELT Fernsehen (vormals N24), die Macher:innen hinter der Shopping- und Vergleichsplattform idealo, der Vermarkter Media Impact, sowie verschiedene Zentralbereiche von Axel Springer.
Von diesen neuen Bewohner:innen des Axel-Springer-Hauses will ein Grossteil auch künftig hybrid arbeiten. 50-60% der Mitarbeiter:innen hätten sich in einer internen Umfrage für mobiles Arbeiten ausgesprochen, so Anika Giese. Dieses Umfrageergebnis mache aus ihrer Sicht den Shift im Mindset der Mitarbeiter:innen bereits ziemlich deutlich.
Dabei gewinnt das Büro als essentieller Ort für Kreativität, für Verbindung und nicht zuletzt als Team-Heimat durchaus auch wieder an Bedeutung. «Essentiell ist hier der Austausch über die Frage wofür sollten wir im Büro zusammenkommen?», erklärt Giese.
Hybrides Arbeiten erfordert fast intuitiv mehr Flexibilität auf der einen Seite, aber auch räumliche und vor allem kulturelle Voraussetzungen auf der anderen Seite. «Wir wollen den Axel Springer Way of Work – unseren eigenen Weg der Zusammenarbeit – finden.»
Dieser Weg basiert auf drei Säulen
- flexibles Arbeiten
- mobiles Arbeiten
- Mobiliätsratio
Für das Team des Organisational Development umfasst das Arbeitsformenkonzept mehr als die tägliche Entscheidung, ob die Axel-Springer-Mitarbeitenden im Büro oder mobil arbeiten: Es geht um die direkte Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen, um Unternehmenskultur, Innovation und Kollaboration. Insbesondere für das hybride Setting sind neue Wege und Lösungen der Schlüssel für erfolgreiche Zusammenarbeit.
Mit 25 Expert:innen als Katalysator der Veränderung
Seit Anfang Mai 2021 arbeiten im Team Organisational Development Agile Coaches, Scrum Master und Transformation Partner zusammen: Alle 25 Mitglieder begleiten in ihren Rollen und mit ihrer jeweiligen Expertise den Veränderungsprozess innerhalb der Teams von Axel-Springer methodisch und inhaltlich.
Dahinter steckt ein auf die Medienmarken abgestimmter und massgeschneiderter Prozess. Anika Giese erklärt: «Wir arbeiten auf sehr unterschiedlichen Flugebenen, in unterschiedlichen Rollen und pilotieren viele unserer Massnahmen selbst. Immer mit dem Ziel, unsere Medienmarken zu stärken und um vor allem das volle Potential der Mitarbeiter:innen, der Teams und der Organisation zu heben.»
Dabei hätte das Team in den letzten Monaten hauptsächlich eins gelernt, so Anika Giese: «One-concept-fits-all funktioniert nicht. Jede Organisation, jedes Team braucht seine eigene Geschwindigkeit.»
Die Transformation Partner, Agile Coaches und Scrum Master hätten deshalb viel Zeit und Kreativität in die Analyse und vor allem in die Begleit-Formate gesteckt, um Fragen für Führungskräfte, aber vor allem für die Teams zu klären. Fragen, die bei diesem Prozess geholfen haben:
- Wo steht ihr?
- Was braucht ihr in eurem aktuellen Umfeld?
- Wie können wir euch unterstützen?
Nebst der 1:1-Begleitung von Teams übernimmt das Team Organisational Development auch interne Schulungen im Umgang mit neuen, digitalen Tools und agilen Methoden (Purpose-Entwicklung, Einführung von OKR und Scrum, etc.).
In diesem Zusammenhang sei wichtig, dem jeweiligen Team Zeit und Raum zu geben und nicht alles direkt zu bewerten. Dies gelinge in erster Linie, wenn zu Beginn der Prozessbegleitung gemeinsam die Rahmenbedingungen geklärt werden und diese im Anschluss in eine Vision für das Team übersetzt und Lösungen für aktuelle Herausforderungen gefunden werden. Idealerweise ist dies ein iterativer Prozess.
Konkrete Begleitformate als Anker im Change Prozess
Als konkrete Begleitmassnahmen hat das Team in den letzten Monaten Leadership-Formate rund ums Thema Remote-Arbeit aufgesetzt. Mit Titeln wie «Führen auf Distanz mit Nähe» oder «Im Home Office Allein. Zusammen.» wurden im harten Lockdown für Führungskräfte Workshops kreiert.
Auch wurde ein Assistenzen-Netzwerk gegründet und Infoveranstaltungen, Flächenretros und Stammtisch-Formate zum neuen Arbeitsformenkonzept aufgesetzt und durchgeführt. Vieles wird in den Medienmarken durch eigene Botschafter:innen vorangetrieben und gleichzeitig Themenfelder durch Umfragen in den Business Units selbst identifiziert.
Vielfach dient das Team Organisational Development als Ermöglicher und Verknüpfer von verschiedenen Rollen und Funktionen innerhalb des Medienhauses, erklärt Giese: «Längst moderieren und begleiten wir nicht mehr jede einzelne Massnahme, sondern fungieren viel stärker auch mal als Amor, der beim Matchmaking der Teams hilft und sich danach zurückzieht.»
Um den Stand und das Verständnis für den Veränderungsprozess transparent zu machen, führt das Team auch regelmässige Mitarbeiter:innen-Umfragen bis auf Top-Ebene durch. Solche Umfragen können konzernweit funktionieren. Die daraus abgeleiteten Rückschlüsse und Massnahmen sollten allerdings individualisiert und auf Team-Ebene stattfinden, merkt Anika Giese an. «Nichts ist schlimmer als ohne Analyse und Recherche mit der Giesskanne über alle Units und Mitarbeiter:innen hinweg Aktionen ins Leben zu rufen, die niemanden abholen und keine Wirksamkeit entfalten.»
«Wir können inspirieren, die Motivation muss aber von innen kommen.»
Anika Giese,Transformation Partnerin bei Axel Springer
Umso stärker rät Anika Giese anderen Medienunternehmen, nicht einfach fertige Modelle oder Muster zu übernehmen, sondern in erster Linie mit simplem Fragen und dem Suchen und Sichtbarmachen der intrinsischen Motivation zu starten. «Wir können inspirieren, aber die Motivation muss von innen kommen. Wer eine moderne Führungskraft sein will, sollte deshalb die Angst, das perfekte Bild vorgeben zu wollen, durch den Anspruch, den Spirit und Rahmen zu schaffen, ersetzen.»
Ganz grundsätzlich beginnt der Change immer auch beim Individuum. So beobachtet Anika Giese, die vor ihrer aktuellen Funktion als Head of Video den Bewegtbildbereich bei BILD Berlin und bei der B.Z. aufgebaut und verantwortet und anschliessend in der Stabsstelle im Vorstand alle Virtual Reality Aktivitäten geleitet hat, auch bei sich eine Veränderung: «Ich ertappe mich immer wieder dabei, selbst viel weitsichtiger zu werden und ambivalente Ausgangslagen umso stärker aushalten zu können.»
Fragen? Eigene Erfahrungen?
Welche Erfahrungen haben Sie mit Veränderungsprozessen in Ihrer Organisation gemacht? Kennen Sie Unternehmen, die sich aktuell in einer solchen Transformation befinden und mit guten Beispielen eine neue Arbeitskultur entwickeln? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!
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Hörtipp: Podcast «Innovationstheater» mit Anika Giese
Wer Anika Giese lieber zuhören möchte, wird im Podcast «Innovationstheater» von Dennis Horn fündig. Anika Giese war im Juli 2021 zu Gast im Podcast und gab dabei während rund 50 Minuten Auskunft zur Transformationsarbeit bei Axel Springer.