Was Medienunternehmen von Google, Spotify und Netflix lernen können

Längst nicht alles, was Google, Facebook und Co. in Angriff nehmen, ist unbestritten. Trotzdem haben keine anderen Unternehmen die Welt in den vergangenen Jahren derart geprägt, wie diese digitalen Plattform-Giganten.

Allein in den letzten 5 Jahren haben die 15 grössten Plattform-Unternehmen der Welt ihren Börsenwert um 200% zugelegt. Höchste Zeit also, um genauer hinzuschauen: Was können Unternehmen in ihrem eigenen digitalen Transformationsprozess von diesen grossen Digitalfirmen lernen?

1. An menschlichen Instinkt appellieren

«If you’re competitor-focused, you have to wait until there is a competitor doing something. Being customer-focused allows you to be more pioneering.» Keine andere Aussage verdeutlicht wohl so gut wie dieses Zitat von Amazon-Gründer und Besitzer der Washington Post, Jeff Bezos, wie stark die Geschwindigkeit heute über einen Marktvorteil entscheidet.

Wer sich dabei einzig auf das Handeln der Konkurrenz fokussiert, verliert die Entwicklung schnell aus den Augen. Deshalb haben die wirklich erfolgreichen Unternehmen vor allem eines gemeinsam: Sie stellen nicht nur ein echtes Bedürfnis von Nutzer:innen ins Zentrum ihrer Geschäftstätigkeit, sondern sie gehen noch einen Schritt weiter. Diese Unternehmen sprechen die Urform der menschlichen Bedürfnisse an: Instinkte.

Während Google unseren Wunsch nach Wissen befriedigt, setzt Facebook auf den Instinkt, uns mit unseren Mitmenschen verbinden zu wollen. Unternehmen, bei welchen stärker Produkte im Fokus der Geschäftstätigkeit stehen, stellen den schnellen einfachen Konsum ins Zentrum (Amazon) oder die «exklusive» Zugehörigkeit mittels eines Statussymbols (Apple).

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Inwiefern spricht Ihr Angebot oder Ihre Dienstleistung ein menschliches Urbedürfnis resp. einen Instinkt an?

2. Aus Nutzerdaten lernen

Wie lernen Sie Ihre Kund:innen besser kennen? Indem Sie jede Handlung messen, analysieren und auswerten. Wie eingangs beschrieben: Längst nicht jede Entscheidung der Digitalgiganten ist gleichermassen unbestritten. Doch etwas haben die grossen Digital-Player bereits früh vorgemacht: Sie traten den Beweis an, wie man aus Datenanalysen pures Gold schaffen kann.

Nutzer:innen, die X gekauft haben, kauften auch Y. Wer kennt es nicht? 60% der Online-Shopper achten auf Vorschläge, welche Artikel für sie ebenfalls interessant sein könnten und 39% kaufen diese vorgeschlagenen Artikel tatsächlich auch.

Ob Usertests bei Amazon oder das A/B-Testing von Google: Sämtliche Digitalunternehmen schreiben die Nutzeranalyse gross auf ihre Fahne. Netflix hat dazu eine eigene Unit geschaffen, die mittels Machine Learning und künstlicher Intelligenz das Nutzerverhalten auf die Sekunde und den Klick genau analysieren kann.

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Über welche Kundendaten verfügen Sie und inwiefern können Sie diese Daten für neue Geschäftsfelder nutzen?

3. Vertikal integrieren

Mit einer einfachen Analyse des Nutzungsverhaltens ist es allerdings noch längst nicht gemacht. Richtig erfolgreich wurden die grossen Digitalunternehmen vor allem, weil es ihnen gelungen ist, nicht nur einen kleinen Teil der Wertschöpfungskette abzudecken, sondern direkt das gesamte End-zu-End-Kundenerlebnis zu beherrschen. Was ist damit gemeint?

Die Plattformunternehmen haben eindrücklich aufgezeigt, wie vor- und nachgelagerte Produktionsprozesse internalisiert werden können. Unterdessen stammt bei fast allen dieser Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette aus einer Hand: vom Rohmaterial über das Design und die Herstellung bis hin zum Vertrieb an den Endverbraucher.

Damit ist es diesen Unternehmen gelungen, nicht nur die eigenen Prozesse effizienter zu gestalten, sondern auch die Eintrittshürden für neue Marktplayer ungleich zu erhöhen.

Ein interessantes Beispiel dafür ist das Werbe-Netzwerk von Facebook: Hier stammen die Zielgruppen-Analyse, Unterstützung bei der Kreation von Ads, Programmierung der Ads, automatisierte Ausspielung der Ads, Abrechnung und Analyse der erreichten Zielgruppen sowie ein mögliches Retargeting allesamt aus einer Hand. Bisher war dies ein Vorteil für die Werbekund:innen aber auch für Facebook selbst: Sämtliche Erlöse aus dieser Wertschöpfung fliessen direkt in die eigene Tasche.

Doch seitdem Apple neue Transparenzregeln für das Werbe-Tracking eingeführt hat, scheint sich das Werbewachstum bei Apple – auf Kosten von Facebook – zu verdreifachen. Dies zeigt, dass selbst die grossen Player nicht vor vermeintlichen Disruptionen gefeit sind.

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Wie gelingt es Ihnen, mit Ihrem Wertschöpfungsprozess nicht nur einen kleinen Teil, sondern das gesamte End-zu-End-Erlebnis Ihrer Kund:innen abzudecken?

4. Angebote bündeln

Mit Angebotsbündeln und Abo-Modellen kennt sich wohl kaum ein Wirtschaftsbereich derart gut aus wie die Medienbranche. Die Zeitung war als Produkt eine erste solche Bündelung – das Zeitungsabo der nächste logische Schluss. Ein Bündel (resp. Abo) ermöglicht mehr Planungssicherheit und generiert regelmässige Einnahmen.

Das Abo-Geschäftsmodell ist Teil eines umfassenderen kulturellen Wandels in unserer Gesellschaft, in der der Zugang zu Produkten und Angeboten wichtiger geworden ist als der reine Besitz. Klassische Beispiele hierzu sind die Streaming-Abos von Spotify und Netflix oder die Abo-Angebote von Amazon Prime und Kindle Unlimited. Ohne diese wäre «binge watching» wohl kaum je ein Thema geworden.

Um mehrere Produkte bündeln zu können, benötigen Anbieter Konstanz in ihrem Angebot (Qualität, Regelmässigkeit, Umfang), einfach verständliche Preis-Modelle, sowie eine wachsende Community.

Doch längst werden nicht nur Medieninhalte zu einem Angebots-Bundle zusammengefasst. Jüngstes Beispiel ist Apple mit dem neuen Abo-Modell Apple One, mit welchem der Hardware-Hersteller erstmals versucht, mehrere Einzelprodukte unter einem Dach zusammenzufassen.

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Verfügen Sie über Angebote, die sich aufgrund ihrer wiederkehrenden Nutzung bündeln liessen und so für regelmässigere Umsätze sorgen?

5. Netzwerkeffekte nutzen

Es ist eines der viel zitierten Hauptargumente für die Plattform-Ökonomie: Dank dem Netzwerkeffekt konnten diese Plattform-Unternehmen in solch kurzer Zeit derart wachsen. Was steckt dahinter?

Der Netzwerkeffekt spielt dann, wenn Produkte und Dienstleistungen umso wertvoller werden, je mehr sie genutzt werden. Auch hier war die Medienbranche im Grundsatz bereits früh am Start und spielte diesen Effekt gekonnt aus: Die Zeitung war ursprünglich die ideale Plattform zwischen Leser- und Anzeigenmarkt, um aus beiden Erlösquellen den maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Aufgrund des Bedürfnisses nach Neuigkeiten haben Leser:innen Zeitungen gekauft und «dieser Plattform» somit Reichweite beschert. Diese Reichweite im Lesermarkt hat wiederum Anzeigenkunden angelockt, welche bereit waren, für die Sichtbarkeit ihrer Inserate «auf dieser Plattform» zu zahlen.

Somit wurden Zeitungen – in ihrer ursprünglichen Form – zu einer idealen Plattform, die wächst und durch positive Netzwerkeffekte mehr Nutzer:innen gewinnt, die wiederum mehr Wert schaffen, was wiederum mehr Nutzer:innen anzieht.

Heutzutage haben digitale Marktplätze wie der Apple App Store oder auch der Bücher-Markt von Amazon dieses Modell abgelöst und dienen deshalb als moderneres Anschauungsbeispiel.

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Inwiefern macht jede:r zusätzliche Nutzer:in Ihr Angebot / Produkt für weitere Nutzer:innen wertvoller?

6. Karrieren beschleunigen

Digitale Unternehmen stehen mit zunehmender globaler Konkurrenz längst nicht mehr nur in einem hart umkämpften Wettbewerb um neue Kund:innen, sondern auch um neue Mitarbeiter:innen. Dabei gelingt es den grossen Digital-Playern stärker als anderen Unternehmen, Talente anzuziehen und diese zu halten.

Gründe dafür sind nicht nur ein höheres Budget für Löhne und sonstige Benefits, sondern fast wichtiger, dass sie als Beschleuniger für die eigene Karriere als Mitarbeiter:in gesehen werden.

Medienunternehmen gelingt dies heute zum Teil nach wie vor im publizistischen Bereich. Doch in denjenigen Bereichen, die künftig aufgebaut und mit nicht-publizistischen Kompetenzen ausgestattet werden sollten (Technologie, Datenanalyse, Produktentwicklung, Design, usw.) ist der Arbeitsmarkt umso umkämpfter. Entsprechend schlecht aufgestellt sind die Medienhäuser in diesem Bereich, wie eine neue Studie des Reuters Institute soeben zum Schluss kam.

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Was macht Ihr Unternehmen zu einem Karrierebeschleuniger für mögliche Job-Interessent:innen?

7. Arbeit neu definieren

Da der Arbeitsmarkt stark umkämpft ist, werden unoffensichtliche Wettbewerbsvorteile umso wichtiger. Dazu gehört vor allem auch die gelebte Arbeitskultur im Unternehmen.

Wer seinen Mitarbeiter:innen Freiraum ermöglicht, Eigenverantwortung überträgt und die Selbstwirksamkeit fördert, steigert automatisch auch die Innovationsfähigkeit und Flexibilität des Unternehmens. Die Mehrheit der Befragten einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gab an, dass Selbstführung ausserdem das eigene Engagement und die Identifikation mit dem Unternehmen steigert.

Medienunternehmen sollten deshalb den von der Pandemie geprägten Digitalisierungsschub bestmöglich nutzen, um die künftige Art der Zusammenarbeit innerhalb der Organisation und somit auch die Unternehmenskultur neu zu definieren.

Als Vorbild hierzu kann die agile Organisationsform von Spotify dienen. Das Unternehmen stellt seit Jahren Learnings zu Prozessen, Strukturen und Prinzipien vorbildlich transparent für andere zur Weiterentwicklung zur Verfügung. 

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Inwiefern schaffen Sie Strukturen, die Ihren Mitarbeiter:innen genügend Freiraum und Selbstverantwortung für das persönliche Wachstum ermöglichen?

8. Sinn stiften

Unternehmen, die über einen klaren Purpose, d.h. Sinn und Zweck verfügen, verzeichnen höhere Gewinne und wachsen im Durchschnitt dreimal schneller als ihre Konkurrenten. Zugleich erreichen sie eine höhere Zufriedenheit bei Mitarbeiter:innen und Kund:innen.

Die grossen Plattform-Unternehmen haben diesen Wert bereits früh erkannt und entsprechend kühne Visionen und Absichten für sich formuliert. Doch mit der Formulierung alleine ist es noch längst nicht getan. Richtig erfolgreich wird erst, wer in der Lage ist, diese Absicht durch die eigenen Produkte und Dienstleistungen auch tatsächlich umzusetzen und im Alltag zum Leben zu erwecken.

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Wie gut stimmen Ihre Aktionen und Ihr Angebot mit Ihrer Mission und Ihren Werten überein und wie machen Sie dies für Ihre Kund:innen auf natürliche und sinnvolle Weise greifbar?

Kritik an Plattformunternehmen

Selbstverständlich wird auch Kritik an den genannten Plattform-Argumenten geäussert. Einer dieser Kritiker ist Jonathan A. Knee. In seinem Buch «The Platform Delusion» argumentiert er, dass die Plattformen selbst Schwächen aufwiesen wie jedes andere Unternehmen auch.

Deutlich wird das vor allem dann, wenn ein neuer, kleinerer und flexiblerer Player in den Markt eintritt. Mehrfach konnte beobachtet werden, dass grosse Plattformen dann verzweifelt unter Einsatz von viel Geld und Zeit versuchen, das Neue entweder zu kopieren oder direkt aufzukaufen, damit die Nutzer nicht einfach zum neuen Anbieter wechseln.

Die Wahrheit, weshalb diese Plattformunternehmen derart erfolgreich sind, sei deshalb komplizierter als auf den ersten Blick ersichtlich, argumentiert Knee. Dazu zählt er die oftmals unterschätzten strukturellen Vorteile, gestützt durch geschickte Übernahmen, starkes Management, fehlende Regulierungen und die Förderung des Mythos, dass diese Plattform-Unternehmen unbesiegbar seien, um die Konkurrenz zu entmutigen.

Fragen? Eigene Erfahrungen?

Wie beurteilen Sie die Entwicklung hin zu einer Plattform-Ökonomie? Kennen Sie Medienunternehmen, welchen die Transformation in ein Plattformunternehmen gelungen ist? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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2 Kommentare

Guter Artikel, danke dafür, Konrad!
Ich würde allerdings noch einen Schritt vor „aus Nutzerdaten lernen“ beginnen: Erstmal muss sich meiner Meinung nach die Kultur der Medienunternehmen dahingehend ändern, dass alle verlegerischen Aktivitäten auf die Nutzerbedürfnisse ausgerichtet werden. Damit meine ich explizit nicht die inhaltliche Ausrichtung (z.B. die lautesten Kommentarschreiber mit neuen Clickbait-Artikeln bedienen), sondern z.B. interne Prozesse und das UX. Solange Medienunternehmen Bündel schnüren, die nur in Excel-Kalkulationen, nicht aber für Endkund:innen attraktiv sind, solange News-Seiten wegen langsamer Ad-Server langsam laden, solange Smartfeed-Anzeigen als Artikel getarnt sind, sehe ich schwarz für diese Branche.
Google, Spotify und Netflix haben diese unbedingte Kund:innenorientierung verstanden und verinnerlicht.

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