Labs in Medienhäusern: Echte Innovationstreiber oder Spielwiese?

Wie können Innovationsprozesse in Medienhäusern gewinnbringend etabliert werden? Welches Umfeld wird dafür in Unternehmen benötigt? Und welche Organisationsformen garantieren den langfristigen Erfolg dieser Innovationsprozesse?
Viele Unternehmen tun sich nach wie vor schwer mit der Suche nach Antworten auf diese Fragen. Dabei sind ganz unterschiedliche Formen von Innovationen in Medienhäusern zu beobachten: zentral vs. dezentral, projektbasiert vs. prozessorientiert, technologiegetrieben vs. inhaltsorientiert.
Innovation im Journalismus – oft nach dem Zufallsprinzip
Noch immer dominiert in vielen Betrieben die Ansicht, man brauche nur genügend gute Ideen, einzelne «innovative» Mitarbeitende und dann seien die Herausforderungen des Medienwandels leicht zu meistern. Obwohl sich die Verbreitung dieses Trugschlusses in den letzten Jahren etwas verringert hat, prägt diese Ansicht die Diskussionen in Medienhäusern und Redaktionen.
Vielerorts gleicht Innovation noch immer in erster Linie dem Zufallsprinzip: Eine Einzelkämpferin oder ein Einzelkämpfer versucht mit einer guten Idee im richtigen Zeitpunkt Gehör «von weiter oben» zu erhalten. Mit viel Glück gelingt auch ein kleiner Erfolg, doch dieser ist oft nur von kurzer Dauer. Was fehlt, sind ein nachhaltiger Plan, eine wiederkehrende Umsetzung und eine Integration in Prozesse und Strukturen.
Labore als kleine und effiziente Innovationstreiber?
Aus diesen Gründen hat sich in den letzten 5-10 Jahren vor allem eine Organisationsform zur Stärkung von Innovationsprozessen in Unternehmen etabliert: das Innovationslabor oder Medien Lab. Die damit zusammenhängende Hoffnung: Kleine, interdisziplinäre Innovations-Teams sind schneller, effizienter und wirkungsvoller als dezentral organisierte Innovationsvorhaben, die neben dem Tagesgeschäft sowieso unterzugehen drohen.
Um künftig mehr Menschen im Netz und generell ein jüngeres Publikum zu erreichen, hat auch der Südwestrundfunk (SWR) im September 2020 ein Innovationslabor gegründet: das SWR X Lab. Das Innovationslabor in Baden-Baden soll internes und externes Know-how vernetzen, die Programmmacher:innen im SWR bei der Entwicklung neuer Formate und Produkte begleiten sowie den Sender mit Hochschulen, StartUps und anderen Innovationszentren zusammenbringen.
Praxisbeispiel: Interview mit Vanessa Wormer, Leiterin des SWR X Lab
Nach etwas mehr als 1.5 Jahren ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen: Zahlt sich ein Labor als Organisationsform aus, um Innovation im Grossunternehmen zu fördern? Und welche Erfahrungen haben die Arbeit des SWR X Lab-Teams in den letzten Monaten geprägt?
Vanessa Wormer, Leiterin des 10-köpfigen Labs, ist überzeugt: «Innovation ist kein Zufall.» Im ausführlichen Interview gibt sie Einblick in die Arbeit des SWR X Lab.
Das Innovationslabor ist nun seit 1.5 Jahren am Start. Was waren eure grössten Learnings in dieser Zeit?

Vanessa Wormer: Da gab es natürlich so einige! Ich glaube tatsächlich, dass sich das grösste Learning auf unsere Rolle und Wirksamkeit bezieht. Anfangs gingen viele davon aus, dass wir eine Formatentwicklungseinheit sind und dass wir jetzt die Ideen umsetzen, die in den Schubladen schlummern.
Wir haben relativ schnell gemerkt, dass unsere Rolle eine andere sein muss. Dass wir viel früher ansetzen wollen und die Herausforderungen des SWR erstmal besser verstehen müssen, bevor wir Ideen entwickeln. Ausserdem wollen wir vielmehr andere dazu befähigen, sich grossen Herausforderungen zu stellen und Räume schaffen, in denen wirklich Neues entstehen kann.
Wir sind also vielmehr Komplexitäts-Manager:innen und haben die Fähigkeiten und Methoden, um trotz grosser Unklarheit den ersten Schritt zu wagen. Die Unsicherheit auszuhalten und sich davon nicht lähmen zu lassen, ist eine Superpower, die wir für den SWR nutzen können. Und nur wo viel Unsicherheit herrscht, kann ja bekanntlich etwas Innovatives entstehen.
Welche Ziele habt ihr euch für diese Anfangsphase gesetzt?
Unsere Ziele sind stark mit der Entwicklung neuer Angebote und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag verbunden. Da sind wir total auf Kurs mit dem Unternehmensziel, Menschen erreichen zu wollen, die wir bisher nicht erreichen.
Das heisst: Wir moderieren nicht nur Workshops und sagen dann: «Ok, ciao.» Wenn wir an eine Idee glauben und sie validieren können, möchten wir sie auch mit zum Leben erwecken und versuchen, gemeinsam mit den Programmbereichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Die beiden Innovations-Expert:innen Daniel Stolz und Viola Granow erklären die Arbeitsweise des SWR X Labs.
Konntet ihr eure gesetzten Ziele erreichen?
Unser Ziel, neue Produkte an den Markt zu bringen, hat sich auf jeden Fall schon in mehrfacher Hinsicht erfüllt. An den Projekten MIXTALK und NEWSZONE waren wir massgeblich beteiligt. Und was mir im Moment immer mehr bewusst wird ist, dass wir nach eineinhalb Jahren schon richtig gute Netzwerke aufgebaut haben und weiter aufbauen.
Allen im Team fällt es sehr leicht, auf spannende Menschen und Organisationen zuzugehen, die einen Mehrwert für den SWR bieten könnten. Das merkt man unseren Projekten an: Wir sorgen dafür, dass wir mit den besten Köpfen zusammenarbeiten können und im Sinne der Co-Kreation wirklich neue Angebote entstehen können.
Der Ansatz zur Schaffung eines Labors für die Innovationsunterstützung im Grossunternehmen löst immer wieder auch Kritik aus. Wie geht ihr damit um?
Die Überlegung, ein Innovationslabor zu gründen, fiel nicht vom Himmel. Im Vorfeld haben sich meine Kolleg:innen Andrea Eberhart und Frederik Peters aus der Strategischen Unternehmensentwicklung intensiv Gedanken gemacht, haben viele Gespräche geführt und einen konkreten Vorschlag erarbeitet, wie ein Innovationslabor im SWR aussehen könnte.
Parallel dazu wurde ein neuer Bereich für «Innovationsmanagement und digitale Transformation» gegründet, der heute eine Direktion ist, zu der auch das SWR X Lab gehört. Der SWR hat die Innovation zur Chefsache gemacht.
Das Innovationsvorhaben hätte nie die Anziehungskraft für externe Talente entfaltet, wenn die Ernsthaftigkeit dahinter nicht spürbar gewesen wäre. Und gleichzeitig ist das Besondere an unserem Innovationslabor, dass wir in unseren Projekten von Anfang an eng mit den Programmbereichen und anderen Direktionen im Haus zusammenarbeiten. Wir schotten uns nicht ab.

Welche konkreten Massnahmen habt ihr getestet und umgesetzt, damit zwischen dem SWR X Lab und dem Rest des Unternehmens keine Gräben entstehen?
Ob gar keine Gräben existieren, kann ich nicht mal sagen. Sicher keine tiefen, aber wir hören natürlich auch öfter, dass nicht allen im Unternehmen klar ist, was wir machen. Einerseits sollte ein Innovationslabor so transparent wie möglich arbeiten, viel kommunizieren und dazu einladen, mitzumachen. Andererseits ist es doch auch utopisch, dass jede:r im Unternehmen immer komplett nachvollziehen kann, wie fachfremde Abteilungen arbeiten. Da vertraue ich auch ein bisschen darauf, dass man uns bei allem Spass an der Arbeit auch die Ernsthaftigkeit anmerkt, mit der wir unsere Ziele verfolgen.
Trotzdem kommunizieren wir natürlich viel über unsere Prozesse, im Intranet oder in internen Newslettern. Seit kurzem haben wir einen «SWR X Lab Club», in dem wir alle zwei Monate mit unserem internen und externen Netzwerk ins Gespräch kommen wollen über Themen, die uns in unseren Projekten beschäftigen. In den Projekten selbst arbeiten wir immer mit Menschen aus anderen Direktionen zusammen.
Eine eurer neusten Entwicklungen nennt sich «Deep X» – ein Inkubator-Format für Innovation innerhalb des SWR. Was wollt ihr mit diesem Format erreichen?
Wer Innovatives schaffen möchte, muss ja irgendwie dem Impuls widerstehen, ausschliesslich das zu reproduzieren, was man schon kennt. In vielen Formatentwicklungsprozessen werden schnell Ideen geboren, die an bereits bestehende Märkte und Macharten anknüpfen. Das muss nicht schlecht sein, im Gegenteil, so entstehen auch erfolgreiche Formate.
«Für die grossen Herausforderungen unserer Zeit reicht es nicht immer aus, more of the same zu machen.»
Vanessa Wormer, Leiterin SWR X Lab
«Man kann Probleme nicht mit der selben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind», soll Albert Einstein mal gesagt haben. Wenn wir seit Jahren feststellen, dass wir einen grossen Teil der Menschen in Deutschland nicht erreichen, dann sollten wir uns für dieses Problem mehr Zeit nehmen, um es verstehen zu können. Nur so können Lösungen entstehen, die auch auf systemischer Ebene Veränderung bringen.
Wir wollen mit Deep X also einen Ort schaffen, in dem die Teilnehmer:innen journalistischen Konventionen und Gepflogenheiten challengen dürfen bei einer gleichzeitigen Stärkung der grundlegenden Werte des Journalismus. Ich zitiere gern die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, die sagte: «Wie würde Journalismus aussehen, wenn wir ihn mit dem Wissen von heute neu erfinden würden?» Diese Frage dürfen unsere Teilnehmer:innen von Deep X versuchen zu beantworten.
Wo seht ihr in 2-3 Jahren die Zukunft des Labs innerhalb des SWR?
Die Herausforderungen, vor denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die ganze Medienbranche stehen, sind so gross, dass uns die Projekte bis in 2-3 Jahren sicher nicht ausgehen werden.
Das SWR X Lab wird sich womöglich noch mehr auf disruptive Innovationsprojekte fokussieren, hoffentlich auch noch mehr innerhalb der ARD und darüber hinaus für Vernetzung und Zusammenarbeit sorgen. Die Möglichkeiten von Co-Kreation und Kollaboration mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind noch lange nicht ausgeschöpft.
Wird sich die Aufgabe des Labs mittelfristig verändern?
Das SWR X Lab könnte mittelfristig noch viel stärker die Initialzündung für neue Ökosysteme sein, in denen der Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Nutzer:innen sichtbar wird. Wie gestalten wir wertebasierte digitale Produkte? Wie sorgen wir für Teilhabe am gesellschaftlichen und demokratischen Diskurs in einer digitalisierten Lebenswelt? Wie nutzen wir den technologischen Fortschritt, um unseren Journalismus besser zu machen? So lange wir noch nicht ausreichend Antworten auf diese komplexen Fragen gefunden haben, haben wir als SWR X Lab genug zu tun.
Transparenzhinweis: In den vergangenen Monaten durfte der Autor als externer Berater eine SWR-Arbeitsgruppe zur Entwicklung des Deep X-Formates strategisch und methodisch unterstützen.
Fragen? Andere Beispiele?
Wie geht Ihr Unternehmen mit Innovationsprozessen um? Kennen Sie Organisationen, welche ein beispielhaftes Innovationsmanagement aufgebaut haben? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!
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