Jahresgespräche neu gedacht: Der Weg zur erfolgreichen Strategieumsetzung

Für die einen eine überflüssige Pflicht, für die anderen ein Grund für schlaflose Nächte: Der Jahresauftakt bildet in vielen Unternehmen einen wichtigen Zeitpunkt der Leistungsbewertung und Definition von Jahreszielen. Vielerorts geschieht dies in Form von traditionellen Beurteilungsgesprächen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden.
Die meisten dieser klassischen Mitarbeitergespräche (MAG) werden einmal jährlich durchgeführt. Sie dienen dazu, zwischen Chef:in und Mitarbeiter:in auf die vergangenen Leistungen, die Erreichung der vereinbarten Ziele und die erweiterten Kompetenzen zurückzublicken. Zusätzlich werden neue Entwicklungsziele festgelegt und gewünschte Verhaltenskriterien definiert, die den zukünftigen Erfolg fördern sollen.
Weshalb klassische Jahresgespräche nicht zeitgemäss sind
In manchen Organisationen werden diese Gespräche ohne fixe Struktur auf Basis eines weissen Blattes geführt. Andernorts folgen die Beurteilungen einem klar festgeschriebenen Raster, welches zur jährlichen Überprüfung beigezogen wird.
Egal, ob mit klarer Struktur oder ohne: Das klassische Jahresgespräch wird aus verschiedenen Gründen zunehmend als aus der Zeit gefallen wahrgenommen. Zentraler Kritikpunkt ist, dass häufig zu viele Ziele gleichzeitig, zu unspezifisch und über einen zu langen Zeitraum hinweg gesetzt werden. Diese haben wiederum für den Arbeitsalltag kaum Relevanz und geraten spätestens einige Tage nach der Durchführung des Gesprächs wieder in Vergessenheit.

Oft tritt sogar der gegenteilige Effekt ein: Unklare Ziele wie zum Beispiel «Team-Effizienz bis Ende des Jahres steigern», überambitionierte Vorgaben wie «keine Beanstandungen von Kund:innen» oder zu niedrig gesteckte Anforderungen wie «grundlegende Anforderungen der Stellenbeschreibung erfüllen» wirken auf viele Mitarbeitende demotivierend.
Mit der Zeit führen solche Ziele zu Frust, einer sinkenden Motivation und dem oft beschriebenen «Quiet Quitting». Nach wie vor gilt die fehlende Wertschätzung durch Vorgesetzte als wichtigster Kündigungsgrund.
Wie gross die Kluft zwischen Strategieentwicklung und -umsetzung ist

Die Arbeitsmotivation ist aktuell ohnehin auf einem tiefen Stand. Nicht einmal jede:r zweite Angestellte (48 %) in Deutschland gibt an, bei der Arbeit ihr / sein Bestes zu geben. Zu diesem Schluss kam jüngst eine Studie von EY bei 17’000 Menschen weltweit. Diese Entwicklung gepaart mit der zunehmenden Marktdynamik führen dazu, dass Organisationen immer mehr Mühe mit der Veränderungsbereitschaft und Strategieumsetzung haben.
Gemäss einer Analyse von Gartner haben zwei von drei Organisationen Schwierigkeiten, die Kluft zwischen Strategieentwicklung und -umsetzung zu überbrücken. Doch warum tun sich so viele Unternehmen damit schwer? Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass unklare Verantwortlichkeiten und die Unfähigkeit, Ziele an Teams und Einzelpersonen weiterzugeben, häufig die zugrunde liegenden Ursachen hierfür sind.
Warum die Strategieumsetzung oft misslingt
Das mag auch daran liegen, dass 74 % der Führungskräfte nicht mit den nötigen Fähigkeiten und Kenntnissen ausgestattet sind, um Veränderungsprozesse effektiv zu leiten. Denn wer nur einmal pro Jahr im Rahmen des Mitarbeitergesprächs über die Ausrichtung des Unternehmens und die eigenen Erwartungen spricht, muss sich nicht erstaunen, wenn Veränderungen selten verstanden und kaum je umgesetzt werden.
Weitere Gründe für die Kluft zwischen Strategieentwicklung und -umsetzung können sein:
- mangelnde Abstimmung der Geschäftsstrategie auf die Unternehmensvision und -werte
- fehlende Synchronisierung von Strategien mit tatsächlichen Ressourcen und Marktentwicklungen
- keine Priorisierung von Zielen oder zu viele «gleich wichtige» Prioritäten
- keine klar definierten Verantwortlichkeiten und fehlende Kommunikation dazu
- keine Anpassung von bestehenden Strukturen und Prozessen
- unzureichende Schulung, Unterstützung und Bereitstellung von Ressourcen für Mitarbeitende
- ignorieren von Stimmungen und Wohlbefinden der Mitarbeitenden
- fehlendes Nachhalten und keine Konsequenzen bei Nichterreichen von gesetzten Zielen
- festhalten an starren Plänen, welche die Eigenverantwortung und Kreativität untergraben
Welche Alternativen zum Jahresgespräch die Strategieumsetzung unterstützen
Wer die Lücke zwischen Strategieentwicklung und -umsetzung schliessen will, sollte bei Zielprozessen und der Feedback-Kultur ansetzen. Vielfach beobachte ich in meiner Tätigkeit als Strategieberater, dass Organisationen zwar ambitionierte Strategieziele ausrufen, diese zwar kaum «nach unten deklinieren», auf die Umsetzungsebene übersetzen und in konsequenten Prozessen nachhalten.
Das Flight-Level-Modell kann hier als Methode bei der agilen Strategieentwicklung und -umsetzung weiterhelfen, um die wichtige Verbindung zwischen den verschiedenen Organisationsebenen im Arbeitsalltag besser herzustellen.
Wer stattdessen hauptsächlich auf Rankings und Ratings fokussiert, schiesst ebenfalls am Ziel vorbei. Denn Einordnungen in Kategorien und Ranglisten führen in erster Linie zu Konkurrenzkampf und erschweren eine Kultur der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Coachings. Ausserdem entsteht dadurch ein Anreiz hin zu aktionistischen Massnahmen, die auf den ersten Blick die definierten Kennzahlen zwar erfüllen, aber kaum ganzheitlich und nachhaltig die vorherrschenden Probleme lösen. Das gilt umso mehr, wenn Lohnbestandteile vom Erreichen dieser Kennzahlen abhängig sind.
Welche Alternativen gibt es stattdessen, die sowohl positive Anreize auslösen, die Strategieumsetzung befeuern und zu einer Kultur der Zusammenarbeit führen?
Alternative 1: Auf Herausforderungen statt Ziele fokussieren
Statt im Jahresgespräch über Ziele zu sprechen, kann es eine Alternative sein, sich auf aktuelle Herausforderungen und Probleme der Mitarbeitenden zu fokussieren. Diese sind einfacher zu formulieren, und ihre Lösung schafft direkten und greifbaren Mehrwert. Das gemeinsame Lösen solcher Schwierigkeiten fördert nicht nur die Motivation der Mitarbeitenden, sondern baut auch Vertrauen auf. Mitarbeitende fühlen sich ernst genommen und trauen sich, Hindernisse offen anzusprechen – auch abseits des Jahresgesprächs. Dies ermöglicht es Führungskräften, Probleme frühzeitig zu erkennen und gemeinsam zu lösen, bevor sie sich negativ auf die Leistung oder die Arbeitsatmosphäre auswirken.
Alternative 2: Erfolgsgrössen selbst festlegen lassen
Fokussieren sich Organisationen dennoch auf Ziele, sollten die Mitarbeitenden ihre eigenen Erfolgsgrössen festlegen können. Eigene Ziele sind meist realistischer und besser auf die tatsächlichen Herausforderungen abgestimmt, was ihre Erreichbarkeit erhöht. Gleichzeitig fördert dieser Prozess die Identifikation mit den übergeordneten Unternehmenszielen, da Mitarbeitende besser verstehen, wie ihre Arbeit zum Gesamterfolg beiträgt. Im Dialog mit Führungskräften kann nach wie vor die Ambition geklärt, Erwartungen abgeglichen und der Raum für Kreativität sowie die persönliche Entwicklung geboten werden.
Alternative 3: Projektbasiertes Feedback als Grundlage
Eine praktische Alternative zu Jahresgesprächen kann ausserdem sein, stärker mit Retrospektiven und Debriefings zu arbeiten. Damit wird eine niederschwellige Feedback-Kultur aufgebaut. In Retros werden Erfolge gefeiert und Herausforderungen offen analysiert, wodurch Teams aus konkreten Erfahrungen lernen und zukünftige Projekte effektiver gestalten können. Diese regelmässigen Reflexionsrunden stärken die Kommunikation und das Vertrauen im Team, da sie Raum für konstruktives Feedback bieten und dazu beitragen, Missstände frühzeitig zu erkennen. Zudem wird durch den Austausch von Perspektiven eine Kultur der Offenheit und Zusammenarbeit etabliert, die langfristig sowohl die Leistungsfähigkeit als auch die Innovationskraft der Organisation steigert.
Alternative 4: Kürzere Zeitabstände für Zielsetzung etablieren
Weshalb können Mitarbeitergespräche eigentlich immer nur einmal pro Jahr stattfinden? Ein Austausch in solch langen Zyklen erschwert schnelle Kurskorrekturen. In einem dynamischen Umfeld sind regelmässiges Feedback und ein kontinuierlicher Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden entscheidend. Wer häufig informelle Gespräche führt, baut Kommunikationsschwellen ab und fördert das Vertrauen, das wiederum die Bindung stärkt. Idealerweise geschieht dies im Wochentakt im Team, um aktuelle Herausforderungen rasch zu besprechen. Grundsätzliches Feedback, Gehaltsdiskussionen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten können separat, beispielsweise quartalsweise, behandelt werden. So stauen sich Anliegen nicht bis zum nächsten Mitarbeitergespräch in einem Jahr an.
Alternative 5: Integration von Peer- und 360-Grad-Feedback
Zu guter Letzt bieten Peer- und 360-Grad-Feedback eine wertvolle Alternative zu klassischen Jahresgesprächen, da sie vielseitige Perspektiven und eine umfassendere Bewertung ermöglichen. Mitarbeitende erhalten nicht nur Feedback von Vorgesetzten, sondern auch von Kolleg:innen und gegebenenfalls anderen Stakeholdern. Dies erhöht die Objektivität, deckt blinde Flecken auf und fördert die Eigenverantwortung. Durch die regelmässige Rückmeldung aus verschiedenen Blickwinkeln können die individuelle Leistung und Weiterentwicklung gezielter gefördert und schneller an Veränderungen im Unternehmen angepasst werden. Und positiver Nebeneffekt: Auch die Qualität des Feedbacks innerhalb der gesamten Organisation kann auf diese Weise laufend verbessert werden.
Fragen? Andere Beispiele?
Welche Erfahrung machen Sie in Ihrer Organisation mit Jahresgesprächen und Beurteilungsverfahren? Oder kennen Sie Beispiele von anderen Organisationen, die ihre Zielprozesse weiterentwickelt haben? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die unten stehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!
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