Praxisbeispiel: Wie eine Community-Strategie mit wenig Ressourcen gelingt

Social Media wird für Medieninhalte immer irrelevanter. Facebook scheint bereits seit Jahren total vergreist zu sein. Die Weiterleitungen von Social-Media-Seiten auf Medieninhalte nimmt konstant ab. So klingt der Tenor in den vergangenen Jahren.

Vor diesem Hintergrund, mit journalistischen Inhalten – und erst noch im Lokalen – beachtliche Reichweiten zu erzielen, scheint fast an ein Wunder zu grenzen. Dass dies dennoch klappt, beweist Andreas Rickmann mit seinem Portal «Verliebt in Köln».
Andreas hatte von 2014 bis 2018 den Bereich Social Media / Neue Plattformen bei BILD auf redaktioneller Seite geleitet und von 2018 bis 2019 denselben Bereich für die gesamte BILD-Gruppe verantwortet. Wie starke und nachhaltig engagierte Communities aufgebaut werden können, hat Andreas also von der Pike auf gelernt. Die wertvollsten Erfahrungen probiert er auf seinem eigenen Portal «Verliebt in Köln» laufend neu aus.
Seine Herangehensweise bietet deshalb zahlreiche konkrete Learnings, besonders für Führungskräfte in Medienhäusern und Kommunikationsagenturen – weshalb ich das spannende Praxisbeispiel und die dahinter liegende Commnity-Strategie von Andreas Rickmann hier für uns alle festhalten möchte.
Strategischer Community-Aufbau: Statt Reichweiten-Maxime zum Engagement-Treiber
Andreas hat die Plattform «Verliebt in Köln» Anfang 2021 ins Leben gerufen. Statt nur mit einer klassischen Fanpage zu starten (die besteht mit 180’000 Follower:innen ebenfalls), hat er früh damit begonnen, einzelne Facebook-Gruppen zu ganz konkreten Themen zu lancieren. Dazu gehören thematische Gruppen wie «Fotos aus Köln» mit knapp 80’000 Mitgliedern, «Ausflugstipps in / rund um Köln» mit 65’000 Mitgliedern und «Wir sprechen Kölsch!» mit 40’000 Mitgliedern.

Schnell hat Andreas realisiert, dass diese Gruppen sorgsam gepflegt werden müssen, um einen kontinuierlichen und authentischen Austausch zwischen den Nutzer:innen herstellen zu können. Als Resultat generierten die Mitglieder in den Gruppen aber automatisch lokale, hochwertige und relevante Inhalte.
Ein konkretes Beispiel: Wenn es in Köln schneit oder ein neues Restaurant eröffnet wird, werden innerhalb weniger Minuten zahlreiche Bilder aus der Community gepostet. Diese Inhalte kann Andreas anschliessend überprüfen und redaktionell aufbereiten.
Dadurch muss Andreas nicht zwingend selbst vor Ort sein und kann dennoch als One-Man-Show über sämtliche Gebiete der Millionenstadt gleichzeitig berichten. Zugleich fühlen sich die Community-Mitglieder ernst genommen und freuen sich über ihren Anteil an der Berichterstattung. Andreas bietet also anderen eine Bühne, statt lediglich selbst Inhalte zu verbreiten, wie dies nach wie vor viele Medienhäuser mit ihren Social-Media-Auftritten tun.

Das hohe Engagement zeigt sich auch in den Social Media-Reichweiten: Die Facebook-Seite von «Verliebt in Köln» erzielt monatlich zwischen 20 und 30 Millionen Aufrufe und hatte 2024 mehr Interaktionen als der Kölner Stadtanzeiger und der Kölner Express zusammen.
Statt alles für alle: Präzises Zielgruppenverständnis und klare Fokussierung
Im Gegensatz zu vielen traditionellen Medien, die eine möglichst breite Zielgruppe ansprechen wollen, konzentriert sich «Verliebt in Köln» klar auf eine ältere Zielgruppe ab 40 Jahren. Dies spiegelt sich in der Nutzung von Facebook als Haupt-Plattform, der Wahl der Themen und der Tonalität wider. Themen wie «Kölsche Sprache», nostalgische Inhalte oder lokale Quizze (z.B. «Weisst du, was diese 11 kölschen Schimpfwörter bedeuten?») sprechen gezielt die emotionale Ebene dieser Zielgruppe an.
Die klare Zielgruppenfokussierung und die persönliche Ansprache via Social Media und Newsletter sind denn auch die wichtigsten Werkzeuge, die Andreas ermöglichen, eine authentische und tiefgreifende Beziehungen zu seinen Nutzer:innen aufzubauen. Ein konkretes Beispiel: Nach einem Unfall musste Andreas gezwungenermassen eine Newsletterpause einlegen. Nur wenige Stunden nach der Ankündigung erhielt er über 100 persönliche Rückmeldungen mit Genesungswünschen.
Solch intensive Reaktionen zeigen, dass sich der Community-Aufbau mit einer hohen, emotionalen Bindung auszahlt und dies längst nicht nur billige Reichweite und schnelle Klicks bedeutet. Entsprechend gross ist auch der Einsatz von Andreas, um die Nutzer:innen möglichst persönlich anzuschreiben – das darf durchaus auch mal eine handgeschriebene Grusskarte vom Kölner Dom sein.
Weniger ist mehr: Emotionen und Service schlagen KI-Inhalte
Statt täglich eine Vielzahl von Beiträgen (unterdessen auch mithilfe von KI) zu erstellen, setzt Andreas auf höchstens drei bis vier qualitativ hochwertige Inhalte am Tag. Treiber für neue Geschichten sei oft der Newsletter, welcher dreimal wöchentlich erscheint und unterdessen über 23’500 Abonnent:innen zählt. Pünktlich zur neuen Newsletter-Ausgabe will Andreas jeweils auch neue Inhalte präsentieren können.
Zur strategischen Positionierung gehört aber auch, dass Andreas bewusst auf Inhalte setzt, die eine lange Haltbarkeit besitzen. Deswegen verzichtet er auch auf klassische Blaulicht-Meldungen: « In diesem 24/7-Stream kann ich nicht mitspielen und würde auch nur verlieren, wenn ich Inhalte distribuiere, die am nächsten Tag bereits wieder veraltet sind.»
Stattdessen setzt er viel mehr auf zeitlose Service-Themen gepaart mit emotionaler Unterhaltung, nach welchen auch bei Google rege gesucht wird (z.B. So funktioniert die neue Beleuchtung für den Kölner Dom oder Woher kommen eigentlich die vielen Muscheln am Rheinufer?).

Solche Artikel, lokale Quizze oder kulturelle Eigenheiten funktionieren besonders gut und würden oft noch Monate später hohe Zugriffszahlen generieren. Um diese Themen ausfindig machen zu können, hilft Andreas wiederum der direkte Draht zur Community über die eigens eingerichteten Facebook-Gruppen.
Monetarisierung diversifizieren und dadurch das Geschäftsmodell stabilisieren
«Verliebt in Köln» ist längst nicht nur ein intensives und kostspieliges Hobby von Andreas Rickmann. In den wenigen Jahren seit dem Start hat Andreas ein solides Geschäftsmodell basierend auf sechs Säulen aufgebaut. «Wobei keine der Säulen mehr als 35 % der Gesamteinnahmen ausmachen. Ein Einbruch einer einzelnen Plattform gefährdet also nicht gleich das ganze Modell», erklärt Andreas.
Nebst dem Online-Shop mit eigens kreierten Köln-Produkten tragen digitale Produkte, Display-Werbung, lokale Kooperationen resp. Sponsorings, die Teilnahme am Meta-Monetarisierungsprogramm sowie aus Überzeugung regelmässig zahlende Nutzer:innen (die keine zusätzliche Gegenleistung erhalten) zur Finanzierung bei.
Andreas hat Anfang des Jahres ausserdem angefangen, ein Team mit Werkstudent:innen und Freelancern aufzubauen, um die Arbeitsaufwände besser steuern zu können.
Was Medienhäuser von «Verliebt in Köln» lernen können
Die Erfolgsstory von «Verliebt in Köln» verdeutlicht eindrucksvoll, wie Medienhäuser auch im Lokalen digitale Strategien gewinnbringend und nachhaltig einsetzen könnten. Eine klar definierte Nische, beherzte Community‑Arbeit und Nutzen stiftende Inhalte sind zentrale Erfolgsfaktoren, auf die Andreas bewusst setzt.
Für Medienhäuser und Content-Anbieter bedeutet dies, sich definitiv von reiner Reichweiten-Orientierung zu verabschieden und stattdessen persönliche, emotional relevante und nachhaltige Inhalte und Strategien in den Vordergrund zu rücken.
Folgende drei konkrete Learnings von «Verliebt in Köln» lassen sich aus meiner Sicht auch auf andere Regionen oder Themenfelder übertragen:
1. Community-First- statt Content-First-Prinzip
Was ist damit gemeint? Facebook-Gruppen oder andere halböffentliche Community-Räume liefern täglich kostenlosen, hochrelevanten User‑Generated‑Content (UGC) und machen die Themenplanung quasi «selbstfahrend».
Was bedeutet das für Medienhäuser? Identifizieren Sie innerhalb Ihrer Angebotspositionierung drei bis vier emotionsstarke Sub‑Themen. Gründen Sie dedizierte Gruppen (via Facebook, Messenger oder Slack), investieren Sie in die aktive Community-Moderation und verschenken Sie Anerkennung, falls Sie die besten User-Inhalte weiterverwenden.
2. Präzise Zielgruppenfokussierung statt «auf alle» zu setzen
Was ist damit gemeint? Detaillierte Kenntnisse über die angestrebten Zielgruppen und eine präzise Ansprache erhöhen die individuelle Relevanz und die Interaktionen mit den angebotenen Inhalten.
Was bedeutet das für Medienhäuser? Definieren Sie Ihre wichtigste Persona und versuchen Sie diese anhand direkter Kontakte und Gespräche umso besser kennenzulernen. Passen Sie die Tonalität, Formate und den Plattformmix konsequent auf die Bedürfnisse dieser Persona an – auch wenn Sie dafür andere Segmente bewusst aussen vor lassen.
3. Qualität vor Quantität
Was ist damit gemeint? Für viele Inhalteanbieter fühlt es sich nach wie vor kontraintuitiv an, weniger statt mehr Inhalte anzubieten, um damit mit diesen dann umso erfolgreicher zu sein. Die Vorteile liegen aber auf der Hand: eine niedrigere Publikationsfrequenz senkt den Produktionsaufwand, erhöht das Engagement pro Inhalt und sorgt gezielt angewandt für mehr Ritualisierung.
Was bedeutet das für Medienhäuser? Reduzieren Sie den bisherigen Output z.B. um 30 % und investieren Sie stattdessen umso mehr in eine klare Fokussierung der übrigen Inhalte. Die Leitfrage lautet dabei: Welches konkrete Bedürfnis will ich mit diesem Output befriedigen? Und setzen Sie klare Kriterien: Würde unsere Perona diesen Inhalt sofort ihren Freund:innen weiterleiten?
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