Social Media Verifikation

Im Krieg der Bilder: Bewusster Fake als Propaganda?

Darf man mittels eines gefälschten Bildes, das sich anschliessend viral verbreitet, auf ein mögliches Problem hinweisen? Geschehen ist dies heute
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Darf man mittels eines gefälschten Bildes, das sich anschliessend viral verbreitet, auf ein mögliches Problem hinweisen? Geschehen ist dies heute mit einem Foto, das viral in sozialen Netzwerken, aber auch bei klassischen Medienunternehmen die Runde machte.

Heute Vormittag habe ich ein Bild auf Twitter geteilt, welches vermeintlich die Krisenherde in der Ukraine – aus russischer und ukrainischer Sicht – aber auch den Konflikt im Gazastreifen zeigen soll. Das Brisante daran: Es ist dreimal derselbe Bildinhalt sichtbar, aber jeweils in einer anderen Senderumgebung (ukrainisches Fernsehen, Россия und Al Jazeera).

Das Bild wurde deshalb auch unzählige Male geteilt (allein der Original-Tweet von mir wurde innerhalb 5 Stunden beinahe 700 Mal retweetet – ZEIT Online griff den Tweet auf Facebook auf und führte dort zu einer noch grösseren Reichweite), weil es ein bekanntes Phänomen aufgreift: In Kriegsgebieten ist die Wahrheit das erste Opfer.

Doch schnell wurden gegenteilige Stimmen laut: Einige User meinten, diese Art der gebrauchten Waffen seien im Konflikt zwischen Israel und den Hamas nicht im Einsatz. Ich begab mich auf Spurensuche.

Im Netz gibt es unzählige Tools zur Verifikation von Social Media-Inhalten. Einige davon versuche ich in verschiedenen Kursen auch immer wieder anderen Journalisten mit an die Hand zu geben. Via Twitter und Facebook habe ich unter anderem ein Bild aus anderer Perspektive gefunden.

Originalbild?
Quelle: twitter.com/MiddleEast_BRK

Mittels Bilder-Rückwärtssuche fand ich dann auch ein weiteres Bild, welches wohl als Original für das Triptychon herhalten musste.

Ist dies das Originalbild?
Quelle: infokava.com

Ein weiteres Bild kursierte ausserdem auf Twitter, das einen Aktivisten vor der Rakete zeigt.

rakete-3
Quelle: twitter.com/magorbacardi

Der «Wahrheit» auf der Spur

In einer Google+-Gruppe, die sich auf die Verifikation via Crowdsourcing genau solcher Inhalte spezialisiert hat – dem «Open Newsroom»-Projekt von Storyful – habe ich das entsprechende Tryptychon schliesslich auch gepostet. Der Aufruf führte zu weiteren nützlichen Hilfestellungen: Offenbar hat zu diesem Bild in den vergangenen Tagen bereits eine rege Diskussion auf Reddit stattgefunden, da das Ereignis an sich bereits ziemlich spektakulär ist. Im entsprechenden Thread wird denn auch über den Raketentyp spekuliert. Offenbar muss es sich beim gezeigten Modell um eine sowjetische Kurzstrecken-Rakete des Typs 9K52 Luna-M handeln.

Via Twitter erreichten mich allerdings noch weitere Argumente, die einer Echtheit des Tryptychons widersprechen:

  • Fernsehsender senden normalerweise im 16:9-Format. Das vorliegende Bild wurde allerdings – und vor allem bei Al Jazeera – genau passend ins Bildformat «gequetscht».
  • Es wurde dreimal die genau gleichen Farbton-, Sättigungs- und Kontrastwerte übernommen, was einem TV-Bild nicht entspricht.
  • Die beiden ersten Bilder (ukrainisches und russisches TV) sollen genau zur selben Zeit ausgestrahlt worden sein – ein ziemlicher «Zufall».

Ausserdem wurde mir via Twitter eine weitere (vielleicht die Ursprungs-)Quelle angegeben. Laut dieser hätten die Urheber des Tryptychons einzig den Effekt der Manipulation zeigen wollen.

Damit stellt sich uns eine umso grössere moralische Frage: Darf man den Medien mittels eines einfachen Tricks den Spiegel vorhalten? Darf man bewusst Bilder so neu zusammenstellen, dass sie einen viralen Effekt auslösen und somit die Botschaft, die offenbar nicht der Wahrheit entspricht, weitertragen? Dies gilt es öffentlich zu diskutieren.

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