Search Generative Experience: Wie das KI-basierte Sucherlebnis den Journalismus verändern wird

ChatGPT, Perplexity, Google Bard oder Copilot – generative Künstliche Intelligenz hat in den letzten Monaten die Medien- und Kommunikationsbranche ganz schön durchgeschüttelt. Hier habe ich beschrieben, wie Medienhäuser KI bereits einsetzen und hier wie eine KI-Strategie in 8 Schritten erstellt werden kann.

Viele dieser Entwicklungen können Medienhäuser selbst prägen. Anders sieht es allerdings bei einer Entwicklung aus, die aktuell in den Kinderschuhen steckt und tiefgreifende Auswirkungen auf die Medien- und Kommunikationsbranche haben wird: Die Rede ist von der KI-basierten Weiterentwicklung von Suchmaschinen.

Was bedeutet Search Generative Experience?

Diese KI-Integration in Suchmaschinen wird «Search Generative Experience» (SGE) genannt. Dabei handelt es sich um den Ausbau der Suche mittels generativer Künstlicher Intelligenz, um Suchergebnisse und Nutzerinteraktionen zu verbessern.

Im Unterschied zum bisherigen Sucherlebnis sollen mit SGE die Suchresultate in Zukunft viel spezifischer und individueller dargestellt werden. Konkret werden dann statt einer Linkliste ausformulierte Textantworten oder dereinst sogar künstlich erstellte Audio- oder Videoinhalte als Suchresultate präsentiert.

Erste Visualisierungen zeigen, wie Google künftig die Search Generative Experience umsetzen könnte. (Quelle: Google)

Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung die Art und Weise wie wir künftig nach Inhalten suchen, aber auch diese entdecken und konsumieren, total verändern wird. Medienhäuser stellt dies wiederum vor viele neue Herausforderungen. Doch es lassen sich auch Chancen daraus ableiten.

Welche Herausforderungen löst Search Generative Experience bei Medienhäusern aus?

Nach wie vor stellt der Zugang via Suchmaschinen – allen voran von Google – für viele Medienhäuser eine wichtige Akquisemöglichkeit von neuen Nutzer:innen dar. Gemäss eigenen Angaben leitet Google über 24 Milliarden Mal pro Monat Nutzer:innen auf News-Seiten. Glaubt man einer Analyse von SimilarWeb im Auftrag des Wall Street Journal, soll Google in der gesamten Medienbranche fast 40% des Traffics der Verlage generieren. Entsprechend gross ist die Nervosität der Medienhäuser seit der Ankündigung von Google, die eigene Suche durch KI-Möglichkeiten zu erweitern. Denn es steht viel auf dem Spiel.

Eine erste Visualisierung zeigt, wie die Search Generative Experience von Google dereinst auf dem Smartphone aussehen könnte.

Abnehmende Sichtbarkeit von Medienmarken

Die Sichtbarkeit von Medienmarken wird durch die Einführung von SGE abnehmen. Zum einen im Ranking, da KI-Zusammenfassungen auf der ersten Bildschirmübersicht vor dem Scrollen mehr Platz einnehmen und die klassischen Linkresultate erst später angezeigt werden. Zum anderen aber auch aufgrund von fehlenden oder schwer erkennbaren Quellenangaben in den Suchzusammenfassungen (in Beta-Visualisierungen werden diese z.T. als ausklappbare Hinweise dargestellt).

Rückgang der Reichweite von Medieninhalten

Aufgrund der abnehmenden Sichtbarkeit wird automatisch auch die Reichweite von Medieninhalten sinken. Diese Tendenz lässt sich zum Teil bereits seit längerem beobachten, z.B. nachdem Google seine Resultate-Seiten mit Text-Ausschnitten (Snippets) ausgebaut hat. Je nach Auswertung beträgt der Anteil von so genannten Zero-Click-Suchen (also einer Suche ohne Weiterführung auf einen Link) zwischen 25-60%. Ausserdem zeigte eine Analyse von einer Milliarde Suchanfragen in neun Branchen, dass in erster Linie die Gesundheitsbranche am stärksten von SGE betroffen sein wird.

Quellentransparenz und Qualitätsmanagement

Neben der Sichtbarkeit und Reichweite führt aber vor allem die Qualität der Informationen innerhalb der SGE-Zusammenfassungen zu vielen Bedenken. So bleibt weiterhin unklar, wie diese Zusammenfassungen entstehen, welche Informationen dazu verwendet werden und ob die KI-Modelle gar neue Inhalte dazu generieren. In den letzten Jahren ist das Vertrauen in Medieninhalte weltweit gesunken. Die Zunahme von künstlich generierten Inhalten wird das noch vorhandene Vertrauen in Medieninhalte weiter auf die Probe stellen.

Umgang mit Trainingsdaten

Nebst der Intransparenz der Quellen ist aber auch nach wie vor unklar, wie und welche Inhalte Google zum Training seiner KI-Modelle verwendet. Bisher wurden keine Medienhäuser für die Verwendung von Trainingsdaten entschädigt. Zudem ist auch ungeklärt, ob Google Inhalte hinter einer Paywall ebenfalls in der SGE integrieren wird. Mit «Google Extended» hat Google zwar ein Tool entwickelt, über welches Webseiten-Betreiber künftig selbst entscheiden können, ob ihre Inhalte zum Training der KI-Anwendungen genutzt werden dürfen. Aber hier ist ebenfalls unsicher, ob und in welcher Form sich eine solche Sperre dereinst auch auf die Darstellung und Priorisierung der Inhalte in der «klassischen» Suche auswirken wird.

Wie können Medienhäuser auf Search Generative Experience reagieren?

Was bedeutet diese Entwicklung nun konkret für Verlage und Medienhäuser? Und wie können sich Unternehmen in der Medien- und Kommunikationsbranche darauf vorbereiten?

  • Mitarbeitende schulen: Nicht erst mit dem Aufkommen von SGE, aber nun erst recht sollten Medienhäuser in Weiterbildungen investieren, um die eigenen Mitarbeitenden im Umgang mit KI-Technologien zu schulen. Dazu gehören technische Fähigkeiten sowie ein Bewusstsein für ethische Fragestellungen, um künftige Entwicklungen besser einschätzen zu können.

  • In Technologie investieren: Um Schnittstellen für KI-Anwendungen nutzbar zu machen, sollten Medienhäuser in die erforderliche Infrastruktur und Technologie investieren. Nur mit einer zeitgemässen Dateninfrastruktur lassen sich künftig KI-Anwendungen – auch abseits von SGE – effektiv nutzen.

  • Kooperationen aufbauen: Dort wo es sinnvoll und realistisch scheint, sollten Medienunternehmen Kooperationen mit Technologieunternehmen, akademischen Einrichtungen und anderen Medienhäusern aufbauen. Dies kann beim Wissensaustausch aber auch bei der konkreten Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen sehr hilfreich sein.

  • Produkteportfolio entwickeln: Um die Abhängigkeit von Drittplattformen und Traffic-Lieferanten wie Google etwas zu reduzieren, hilft der Aufbau eigener Medienprodukte. Dabei handelt es sich um eigens entwickelte Anwendungen (Online-Plattformen, Apps, Newsletter usw.), um Nutzer:innen an den eigenen Auftritt binden und Nutzungsdaten selbst auswerten zu können.

  • Positionierung klären: Die Medienexpertin Heidi N. Moore ist sich sicher: Als erstes wird die Einführung der SGE dazu führen, dass Clickbait- und Traffic-Artikel von der SGE abgestraft werden. Deshalb ist die Formulierung und konsequente Umsetzung einer klaren inhaltlichen Positionierung umso wichtiger. Nur so gelingt es Nutzer:innen, sich mit dem Angebot zu identifizieren. Fragen wie «wofür wollen wir stehen?», «worauf verzichten wir?» oder «welcher Mehrwert braucht die Welt?» können hier für Präzisierung sorgen.

  • Emotionale Nähe schaffen: Nach wie vor kann KI sich nicht in Menschen hineinversetzen oder gar Emotionen entwickeln. Deshalb wird das Menschliche, die persönliche Bindung und emotionale Nähe stets ein Mehrwert im Medienangebot darstellen. In Zeiten der SGE lohnt es sich deshalb umso mehr, in Köpfe, Stimmen und den emotionalen Bezug dazu zu investieren. Denn der Bezug der Nutzer:innen zu Mediengesichtern und Autor:innen wird sich durch SGE kaum ersetzen lassen können.

Welche Chancen bietet Search Generative Experience?

Nebst den genannten Herausforderungen kann die Search Generative Experience durchaus auch einige Chancen für Medienhäuser mit sich bringen.

KI-gestützte Systeme können Journalist:innen bei der Recherche unterstützen, indem sie automatisch relevante Informationen, Artikel und Quellen zu einem bestimmten Thema identifizieren. Das reduziert den Rechercheaufwand (sobald die Quellen tatsächlich ausgewiesen werden) und ermöglicht es Journalist:innen, sich auf die Analyse und Interpretation der gefundenen Informationen zu konzentrieren.

Falls Medienhäuser dereinst selbst SGE-Technologien auf eigenen Plattformen integrieren, können daraus durchaus neue Geschäftsmodelle und Angebote entstehen. Denn bereits jetzt ist klar: Diese individualisierte Form der Informationsvermittlung wird zum neuen Standard.

Eine Chance kann die neue Technologie durchaus auch implizit darstellen: Da sich Medienhäuser gezwungen sehen, über ihre Zukunft – unabhängig vom Google-Traffic – nachzudenken, verstärkt sich der Handlungsdruck, um Grundsätzliches in Angriff zu nehmen, die Abhängigkeit von Drittplattformen kritisch zu hinterfragen und Change-Vorhaben mit mehr Nachdruck umsetzen zu können.

Fragen? Andere Beispiele?

Haben Sie sich selbst schon mit der Search Generative Experience auseinandergesetzt? Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie hinter der neuen Technologie? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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