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Ob Orakel, Wahrsagen oder Prophezeiungen: Spätestens seit der Antike wenn nicht sogar früher sehnt sich der Mensch nach einem Blick in die Zukunft. Dabei ging es weniger darum, «… die Zukunft vorauszusagen, sondern darum, auf die Zukunft vorbereitet zu sein», wie es Perikles im 5. Jahrhundert v. Chr. formuliert hat.
Dazu wurden bei den alten Ägyptern die Bewegungen der Sterne und später bei den Römern die Zugbahnen der Vögel studiert. Der Wunsch nach einem Blick in die Zukunft ist tief in den menschlichen Bedürfnissen und Ängsten verankert. Menschen wollten wissen, was kommen könnte, um entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Bis heute suchen Menschen auf unterschiedliche Weise nach Anzeichen der Hoffnung und Orientierung, um in der Unsicherheit der Welt navigieren zu können.
In einer Welt, die sich rasant wandelt, ist die Fähigkeit, die Zukunft zu antizipieren, längst kein Luxus mehr, sondern eine essenzielle Notwendigkeit. Strategisches Foresight – die systematische Analyse zukünftiger Entwicklungen – hat sich zu einem unverzichtbaren Instrument für Unternehmen und Organisationen etabliert. Unlängst hat das World Economic Forum das Zukunftsdenken nebst dem systemischen und exponentiellen Denken zu den wichtigsten Fähigkeiten erkoren, die uns bereit für die Zukunft machen und in welche wir entsprechend investieren sollten. Doch wie lässt sich unsere Zukunftsplanung angesichts steigender Komplexität und zunehmender Unvorhersehbarkeit weiter verbessern?
Wie das Wissen der Vergangenheit genutzt werden kann
Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten. Zwei Dimensionen sind in der Zukunftsforschung deshalb wichtig und müssen beachtet werden. Die erste betrifft die Bedeutung des historischen Wissens. Für jede Prognose über die Zukunft stehen uns ausschliesslich Daten aus der Vergangenheit oder bestenfalls der Gegenwart zur Verfügung. Alles andere beruht auf einer Extrapolation dieser Daten. Während dieses historische Wissen für präzise Vorhersagen entscheidend ist, spielt es bei rein spekulativen Zukunftsvisionen kaum eine Rolle.
Die zweite Dimension bezieht sich auf die Objektivierung des Zukunftswissens. Auf der einen Seite steht die reine Subjektivität, also persönliche Meinungen und Wahrnehmungen. Auf der anderen Seite finden wir wissenschaftlich fundiertes Wissen, das allgemein als wahr gilt, bis neue Fakten entdeckt werden.
Entlang dieser beiden Ausprägungen lassen sich vier Zukunftsebenen unterscheiden:
Zukunftsebene 1: Wild Cards und Science Fiction
Diese Form der Zukunftsintelligenz konzentriert sich auf mögliche Szenarien, die der freien Vorstellungskraft entspringen. Zu den wichtigsten Formen gehören Wild Cards, Black Swans und Science Fiction. Obwohl Science Fiction oft völlig fiktiv ist und keine Verbindung zu bekannten Realitäten aufweist, spielt sie eine wichtige Rolle, indem sie visionäre Prozesse mit unkonventionellen Ideen bereichert.
Zukunftsebene 2: Veränderungen, Disruptionen und aufkommende Probleme
Hier liegt der Fokus auf dem Beobachten von Veränderungen in der Umwelt. Es geht vor allem um schwache Signale für kommende Veränderungen, neu auftretende Herausforderungen oder Disruptionen. In der Zukunftsforschung wird dies häufig als Horizon Scanning bezeichnet, was oft den ersten Schritt eines umfassenderen Foresight-Prozesses darstellt.
Zukunftsebene 3: Szenarien und Veränderungstreiber
Diese Art von Zukunftsinformation zielt darauf ab, plausible und realisierbare Alternativen zu einem spezifischen Thema zu identifizieren. Szenarien werden häufig anhand spezifischer Methoden entwickelt und ermöglichen ein differenziertes Verständnis potenzieller Zukunftsverläufe.
Zukunftsebene 4: Trends und Megatrends
Hierbei geht es darum, ein umfassendes Bild der langfristigen Entwicklungen und Abhängigkeiten in einem bestimmten Bereich zu gewinnen. Diese Art von Zukunftsinformation fokussiert sich hauptsächlich auf quantifizierbare Megatrends, Trends und Treiber des längerfristigen Wandels.
Es geht nicht darum, dass objektivere und validierte Informationen grundsätzlich besser sind. Jede dieser vier Zukunftsebenen hat ihren spezifischen Nutzen in der Zukunftsforschung. Oft ist es erforderlich, alle vier zu berücksichtigen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Wie generative KI im strategischen Foresight-Prozess dienen kann
Um diese vier Zukunftsebenen greifbarer zu machen, kann der Einsatz von KI-Tools im strategischen Foresight der eigenen Organisation einen echten Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die richtige Kombination von Technologien und Methoden – also von einem sinnvollen Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine – ermöglicht es, fundierte strategische Entscheidungsgrundlagen automatisiert zusammenzustellen.
Hier möchte ich eine Reihe von KI-Tools für den strategischen Foresight-Prozess vorstellen. Nur wenige lassen sich allerdings kostenlos nutzen. Für eine niederschwelligere Nutzung können die bereits etablierten GenAI-Tools wie ChatGPT, Perplexity und Google Gemini im Foresight-Prozess weiterhelfen – mehr dazu weiter unten.
Quid: KI-Tool zur Analyse von Mustern und Trends
Quid nutzt Natural Language Processing (NLP) und maschinelles Lernen, um grosse Mengen unstrukturierter Textdaten zu analysieren. Auf diese Weise können Muster und Beziehungen sichtbar gemacht werden, die für Trendanalysen und Innovationsforschung relevant sind.
Signal AI: KI-Tool zur Erkennung von Trends und Risiken
Signal AI analysiert Echtzeitdaten von Medienplattformen und Social Media in 75 Sprachen und unterstützt Organisationen bei der Erkennung von Branchentrends, Chancen und Risiken v.a. in Bezug auf Reputationsveränderungen.
Newness: Plattform zur Kollaboration in Foresight-Prozessen
Newness bietet Strategie-, Innovations-, Forschungs- und Marketingteams die Möglichkeit, kollaborativ Daten und Signale zu sammeln. Dadurch können im Team Veränderungen sichtbar und kontextualisiert, aufkommende Probleme identifiziert, tiefergreifende Analysen durchgeführt und neue Szenarien entwickelt werden.
Itonics: Plattform für strategisches Innovationsmanagement
Itonics hilft bei der Erstellung eines Trend- und Technologie-Radars, der Erfassung von Ideen, Ableitung von Chancen und Erstellung von Portfolios und Roadmaps. Foresight reiht sich dabei als ein methodisches Element von mehreren im strategischen Innovationsprozess auf dieser Plattform ein.
Futures Platform: KI-Tool für Horizon Scanning
Futures Platform fokussiert auf den Trendanalyse-Teil des Foresight-Prozesses. Mit der Hilfe von KI werden globale Megatrends und zukünftige Entwicklungen identifiziert und visualisiert. Die Plattform ermöglicht vor allem ein breit abgestütztes Horizon Scanning auf Basis von interaktiven Trendkarten.
Vereinfachte Foresight-Prozesse dank ChatGPT, Perplexity und Google Gemini
Es muss nicht immer die Komplett-Lösung sein: Auch mit den bereits etablierten KI-Tools wie ChatGPT, Perplexity und Google Gemini lassen sich Foresight-Prozesse vereinfachen und teilautomatisieren. Dabei können folgende Ausgangsfragen bei der Fokussierung des Foresight-Prozesses für die eigene Organisation weiterhelfen:
- ChatGPT: 10 konkrete Fragen zur Lancierung eines Foresight-Prozesses
- Google Gemini: 10 spezifische Fragen und Tipps zur Lancierung eines Foresight-Prozesses
Wenn während der Explorationsphase qualitative Interviews mit Expert:innen durchgeführt werden, können KI-Tools wie Transkriptor oder Otter die Transkription in kürzester Zeit übernehmen. Wer ausserdem auf aktuellere Daten angewiesen ist, wird mit den oben genannten Fragen bei Perplexity die vielversprechendsten Resultate erhalten.
In der Analysephase gilt es, aus der Fülle der Daten und Inputs die wichtigsten Muster und Signale ausfindig zu machen. Hierbei können die KI-Anwendungen von Miro beim Clustern und Verknüpfen weiterhelfen. Damit lassen sich auch konkrete Fragen an die Datensammlung stellen.
In der Entwicklungsphase werden schliesslich aus losen Enden konkrete Szenarien entwickelt. Hierzu kann eine schnelle und frühe Visualisierung mittels Midjourney, Bildgenerator von ChatGPT oder Microsoft Designer helfen, um die unterschiedlichen Szenarien besser diskutieren zu können.
Wie sich strategische Foresight-Prozesse aufgrund von KI weiterentwickeln
Keine Frage: Künstliche Intelligenz ist äusserst effektiv in der Datenverarbeitung und -analyse. Doch mangelt es den KI-Tools an kontextuellem Verständnis und an der Intuition, die menschliche Foresight-Expert:innen mitbringen. In den kommenden Jahren könnte sich die Rolle dieser Expert:innen deshalb dahingehend verändern, dass sie KI-generierte Erkenntnisse validieren, in den richtigen Kontext setzen und verfeinern.
Aber Achtung: Menschen neigen dazu, ihre eigene Fähigkeit zur Vorhersage von Ereignissen zu überschätzen, nachdem sie deren Ergebnisse kennengelernt haben. Dieser so genannte «Hindsight Bias» kann sich auch in der Mensch-Maschinen-Beziehung auswirken. Dabei besteht die Gefahr, dass generative KI weniger aufschlussreiche vorausschauende Analysen liefert und das Wiederholen allgemeiner Aussagen fortsetzt. Dann wird es noch schwieriger, inmitten des Informationsrauschens sinnvolle Erkenntnisse zu gewinnen.
Deshalb gehört laut dem World Economic Forum auch kritisches Denken zu den Top 10 Job-Skills in 2025.
Transparenzhinweis: Das Titelbild dieses Artikels wurde mit dem Bildgenerierungs-Tool Midjourney erstellt. Folgender Prompt wurde angewandt: photo realistic people working in a bright office with subtle lighting, working on laptops, futuristic, looking into the future, Canon EOS R5 camera. –ar 16:9 –v 6.0.
Fragen? Andere Beispiele?
Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit KI-Tools in Strategie- und Zukunftsprozessen gesammelt? Welche konkreten KI-Tools nutzen Sie? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!
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