Strategisches Foresight: Diese Methode ist mehr als nur ein Blick in die Glaskugel

Wie viele Stunden pro Woche denken wir über die Zukunft nach? Täglich sitzen wir mehrere Stunden in Meetings und haben trotzdem kaum eine Ahnung, wie sich unsere Organisation fit für die Zukunft halten soll. 

Studien kommen zum Schluss, dass Führungskräfte über 70% ihrer Arbeitszeit in Sitzungen verbringen. Demgegenüber stehen gerade mal 4% der Arbeitszeit, welche Manager:innen dafür aufwenden, sich mit der Zukunft der eigenen Organisation auseinanderzusetzen.

Nur die wenigsten Organisationen sind in Zeiten zunehmender Komplexität und Unsicherheit wirklich gut für die Zukunft aufgestellt. Das hängt nicht nur an der fehlenden Zeit, welche für Strategie- und Zukunftsarbeit eingeplant wird, sondern oft auch an fehlenden Methoden und Prozessen. 

Knapp jede:r zweite CEO glaubt, dass sein / ihr Unternehmen in zehn Jahren nicht mehr wirtschaftlich überlebensfähig sein wird, wenn es seinen derzeitigen Kurs behält. Diese drastische Zahl stammt aus einer aktuellen Befragung von PwC bei 4410 CEOs aus 105 Ländern. 

Diese drei Fähigkeiten machen uns fit für die Zukunft

Es ist ein lauter Weckruf, um unsere Arbeitsweisen grundlegend zu überdenken und uns stärker mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Doch wie gelingt das? Das WEF hat drei Fähigkeiten ausfindig gemacht, die uns bereit für die Zukunft machen und in welche wir entsprechend investieren sollten: das Zukunftsdenken, sowie das systemische und exponentielle Denken. 

Doch was bedeutet Zukunftsdenken? Es handelt sich dabei um eine Methodik, um die Zukunft auf offene, aber strukturierte Weise zu erforschen. In der Wirtschaftswelt wird Zukunftsdenken oft mit strategischem Foresight gleichgesetzt. Dieses ermöglicht uns, Chancen und Herausforderungen für die eigene Organisation frühzeitig zu erkennen und greifbare Szenarien der Zukunft zu bilden.

Dieses Vorgehen unterstreicht, dass Führung heutzutage über das Klischee des abgehobenen, visionären Managers hinausgeht, der das Unternehmen im Alleingang auf den richtigen Kurs bringt. Vorausschauende Unternehmensführung bedeutet vielmehr, über systematische Prozesse zu verfügen, um eine Vielzahl von Zukünften zu erfassen, zu verstehen und danach zu handeln.

Daraus können z.B. Entscheidungen für künftige Investitionen, neue Entwicklungen oder das rechtzeitige Beenden von Aktivitäten abgeleitet werden. Zudem zeigt die Forschung, dass strategisches Foresight unternehmerische Eigenschaften wie Risikobereitschaft und Proaktivität fördert.

Wie sich strategisches Foresight messbar auszahlt

Aber reicht es nicht (mehr), täglich einfach beste Qualität zu liefern, um auch in Zukunft bestehen zu können? Eine Frage, die mir regelmässig gestellt wird. Nur leider beweisen die Zahlen das Gegenteil: 3 von 4 Unternehmen sind nicht auf das Tempo der Veränderungen innerhalb und ausserhalb ihrer Branche vorbereitet.

Im Gegensatz dazu sind Organisationen, die strategisches Foresight mit Methoden und Prozessen etabliert haben, durchschnittlich um einen Drittel rentabler. Ausserdem wachsen Firmen, die auf die Zukunft vorbereitet sind, im Durchschnitt 200% mehr als die übrigen Organisationen innerhalb ihrer Branche.

Strategisches Foresight stellt als Methode also einen konkreten und messbaren Effekt dar, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Einzelpersonen, Teams und Organisationen zu verbessern. Dabei geht es weniger um die eine singuläre Vorhersage, sondern vielmehr um die Betrachtung von mehreren möglichen «Zukünften» oder zukünftigen Zuständen.

Future Cone: unterschiedliche Perspektiven auf die Zukunft

In der Zukunftsforschung haben sich in den letzten Jahrzehnten drei Hauptklassen von Zukünften etabliert: die mögliche, wahrscheinliche und wünschenswerte Zukunft. Unterdessen wurde diese Definition durch einige weitere «Zukunftsformen» ergänzt.

Das «Future Cone»-Modell (Zukunftskegel) hilft, die verschiedenen Perspektiven auf die Zukunft auseinanderhalten und mögliche Szenarien auf diesen Zukunftsausprägungen verorten zu können.

Quelle: «Future Cone» resp. «Cone of Possibility»; adaptiert von Voros (2003, 2017), basierend auf Hancock & Bezold (1994). (Klick aufs Bild vergrössert die Grafik)

Die Beschreibungen dieser Zukünfte sind als fliessende Kategorien zu verstehen. Jede Zukunft ist also eine potenzielle Zukunft, auch die, die wir uns nicht vorstellen können und ausserhalb des Kegels, sozusagen im verborgenen (roten) Bereich liegen.

Bei strategischem Foresight geht es darum, unterschiedliche Zukunftsperspektiven für einen Bereich oder ein Thema ausfindig zu machen, Auswirkungen zu untersuchen und Handlungsoptionen zu entwickeln.

Design-Methoden als Basis für das strategische Foresight

Strategisches Foresight kann angelehnt an Design-Prozesse in die drei Phasen Exploration, Zukunftsbilder und Strategie unterteilt werden (vgl. «Zukünfte gestalten – Spekulation. Kritik. Innovation. Mit Design Futuring Zukunftsszenarien strategisch erkunden, entwerfen und verhandeln.» erschienen im Verlag Hermann Schmidt, 2022).

Die Unterteilung in Phasen soll helfen, den Zukunftsprozess klarer zu strukturieren und die jeweils passende Fragestellung pro Phase mit unterschiedlichen Methoden zu beantworten. Deshalb ist es auch zentral, je nach Phase andere Fachexpertise und Personen in die Erarbeitung von möglichen Szenarien und Handlungsoptionen zu involvieren.

Im Folgenden finden Sie eine Sammlung von konkreten Methoden, die sich pro Phase eigenen und in unterschiedlicher Kombination angewandt werden können.

Methoden für die Explorations-Phase

STEEP, PESTEL und SWOT-Analysen

Diese Analyse-Methoden stehen allesamt für eine mehrdimensionale Sicht auf die Zukunftsentwicklungen. Dabei werden in unterschiedlichen Dimensionen nach Herausforderungen und Potentialen gesucht. STEEP steht dabei für die fünf Dimensionen «soziokulturell», «technologisch», «ökonomisch», «ökologisch» und «politisch». Bei PESTEL werden dieselben Dimensionen ausserdem durch eine «rechtliche» Dimension ergänzt. Bei der SWOT-Analyse werden auf allgemeiner Ebene die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der Organisation ausfindig gemacht.

Delphi

Bei der Delphi-Methode handelt es sich um eine qualitative Methode der Zukunftsforschung. Dabei werden meist zwischen 15-35 fürs Thema relevante Expert:innen zu ihren Einschätzungen über künftige Entwicklungen befragt. Speziell an dieser Methode ist, dass die Befragungen in einem mehrstufigen Prozess durchgeführt werden, bis schliesslich Konsens unter den Expert:innen herrscht. 

Methoden für die Interpretation der Ergebnisse aus der Exploration

Futures Triangle

Beim Zukunftsdreieck (Futures Triangle) geht es darum, die Faktoren zu ermitteln, die die Zukunft einer Organisation beeinflussen. Diese Faktoren werden aus drei Perspektiven beleuchtet: Der «Push der Gegenwart» (was zwingt uns zur Veränderung?) und das «Gewicht der Vergangenheit» (worin sind wir stark?) beruhen auf vorhandenen Informationen. Während der «Pull der Zukunft» verschiedene Bilder und Visionen der Zukunft zulässt.

Futures Wheel

Das Zukunftsrad (Futures Wheel) hilft, um Konsequenzen und Auswirkungen von Trends darstellen und weitere Entwicklungen auf zweiter und dritter Ebene ableiten zu können. Dabei geht es vor allem auch um eine visuelle Aufarbeitung von Zusammenhängen und gegenseitiger Einflussnahme von Trends und deren Auswirkungen.

Methoden für die Entwicklung von Zukunftsbildern

2×2-Szenarien

Die 2×2-Szenarien sind eine effektive Methode, um die wichtigsten Einfluss- und Unsicherheitsfaktoren schnell und einfach zu sammeln und in informative Szenarien überzuführen. Nachdem die Einfluss- und Unsicherheitsfaktoren ausfindig gemacht wurden, geht es darum, diese in möglichen Extremen gegenüberzustellen, um so möglichst diverse Auswirkungen auf Strategien und Geschäftsmodelle skizzieren zu können. So entstehen erste Narrative der unterschiedlichen Zukünfte.

Future Mundane

Bei der Future-Mundane-Methode geht es darum, möglichst glaubwürdige und alltagstaugliche Zukunftsszenarien zu entwickeln. Im Vordergrund steht weniger ein künstlerischer Science-Fiction-Ansatz, sondern vielmehr ein «das-kann-ich-mir-vorstellen»-Zustand, welcher auch die gewöhnlichen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft abholen soll. Ein Beispiel hierfür ist die «Black Mirror»-Serie von Charlie Brooker.

Methoden für die Ableitung von Strategien

Backcasting

Backcasting ist eine effektive Planungs- und Entscheidungsmethode, bei der zuerst die gewünschte Zukunft definiert und dann analysiert wird, was erforderlich ist, um diese zu erreichen. Die Methode kann den Weg in die Zukunft greifbarer machen. Mitglieder der Organisation erhalten mit dieser Methode Unterstützung, um kreativere Ideen zu entwickeln, ohne das ferne Ziel aus den Augen zu verlieren.

3 Horizons

Die 3-Horizons-Methode wurde ursprünglich stark von McKinsey geprägt und ist ein strategischer Planungsansatz, der Organisationen dabei hilft, ihre Wachstumsstrategie zu steuern. Die Methode hilft dabei, mit unterschiedlichen Visionen innerhalb der Organisation umzugehen und sich auf konkrete Ziele zu einigen. Die 3 Horizonte stehen für das Auslaufmodell (heutiges Business), Überangslösungen (Transformation) und ein neues Normal (neues Business).

Praxisbeispiele: Wie Organisationen strategisches Foresight einsetzen

Es gibt zahlreiche Organisationen, die bereits seit längerem strategisches Foresight in ihren Prozessen und Strukturen etabliert haben. Häufig sind solche Methoden auch in politischen Partizipationsprozessen wiederzufinden.

Deutsches Bundesministerium: Foresight-Prozesse als Orientierungshilfe

In Deutschland hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits Anfang der 90er Jahre Foresight-Prozesse angestossen. Seit 2019 stellt VORAUS:schau! den aktuellen Foresight-Prozess dar, der sich verstärkt den technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen bis 2030 widmet. Ziel sei es, aus der Wissenschaft abgeleitete Entwürfe verschiedener Zukünfte zu erstellen, die den Bürger:innen einen besseren Eindruck vermitteln, wie sich aktuelle Entwicklungen fortsetzen könnten.

IKEA: Szenario-Planung statt Jahresbudgetierung

Steigende Teuerung, zunehmende Lieferengpässe, unklare Konsumentwicklung: IKEA hat erkannt, dass Prognosen, Planung und Budgetierung im alten Stil in einer Welt der Komplexität und Unsicherheit nicht mehr zweckmässig sind. Stattdessen hat das Unternehmen begonnen, Foresight-Methoden wie die Szenarioplanung zu nutzen, um die klassische Budgetplanung durch ein agileres Vorgehen zu ersetzen.

Deutsche Bahn: Trendanalysen für die Mobilität der Zukunft

Als Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn übernimmt DB Systel die Trendanalysen und Foresight-Aufgaben der Bahn. Das Trendmanagement-Team hat ein methodisches Vorgehen entwickelt, bei dem kontinuierlich nach neuen Trends gesucht, diese evaluiert und eingeordnet werden. Jährlich wird diese Zusammenstellung auch für Externe veröffentlicht.


Transparenzhinweis: Das Titelbild dieses Artikels wurde mit dem Bildgenerierungs-Tool Midjourney erstellt. Folgender Prompt wurde angewandt: ultrarealistic glass sphere containing a future office with people inside the glass sphere working on a laptop in yellow light. Use a Sony α7 III camera with a 85mm lens at F 1.2 aperture setting to blur the background and isolate the subject. direct sunlight::3 –aspect 16:9 –version 5.2.

Fragen? Andere Beispiele?

Haben Sie bereits strukturierte Zukunftsprozesse in Ihrer Organisation etabliert? Kennen Sie andere Beispiele von Unternehmen, welche strategisches Foresight in ihre Strategieprozesse integriert haben? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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