Wie Strategieprozesse in unsicheren Zeiten trotzdem gelingen

Ob Krieg in Europa, Klima- und Energiekrise oder eine erneute Pandemie-Welle: die Zukunftsaussichten waren definitiv schon besser. Nicht weiter erstaunlich, dass gerade junge Menschen umso stärker unter diesem Dauerkrisenmodus leiden. 68% der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland gaben unlängst in einer Studie an, dass ihnen der Krieg im Moment am meisten Sorgen macht. Gefolgt von Klimawandel, Inflation, Spaltung der Gesellschaft und der Angst vor einer Wirtschaftskrise.

Wie lässt sich in solch unsicheren Zeiten überhaupt realistisch über die Zukunft nachdenken? Nebst den genannten Krisen wirken sich in Unternehmen zusätzliche Herausforderungen bereits jetzt aus: der Fachkräftemangel, Auswirkungen der Preisteuerung, die Erhöhung der Energiepreise, zahlreiche Logistikprobleme, usw.

Investieren, absichern oder abwarten – wie auf Unsicherheit reagieren?

Die einen Führungskräfte sichern sich in Zeiten grosser Ungewissheit bestmöglich ab. Sie tätigen höchstens wenige kleine Investitionen, um das Nötigste zu flicken. Andere Führungskräfte investieren in die Flexibilität des Unternehmens, um sich möglichst schnell an Marktentwicklungen anpassen zu können. Die Kosten einer solchen Flexibilität sind durchaus hoch. Doch ermöglicht eine abwartende Strategie «bis endlich Klarheit herrscht» wiederum den Konkurrenten, selbst aktiv zu werden.

Es läuft also alles auf die Frage hinaus: Investieren, absichern oder abwarten? Viele Führungskräfte tun sich durchaus schwer mit solchen Entscheiden. Umso wichtiger ist es, sich verstärkt mit der Unsicherheit auseinanderzusetzen. Denn die herkömmlichen Vorgehensweisen bei der Entwicklung einer neuen Strategie sind bestenfalls wenig hilfreich und schlimmstenfalls geradezu gefährlich.

Entweder-oder ist ein schlechter Ratgeber

Gefährlich deshalb, weil wir Menschen dazu tendieren, der Unsicherheit mit einer Entweder-oder-Mentalität zu begegnen: Das heisst, dass die Welt entweder sicher ist und daher präzise Vorhersagen über die Zukunft möglich sind, oder unsicher und daher völlig unvorhersehbar. Doch in den wenigsten Fällen präsentiert sich eine Ausgangslage als entweder-oder. Vielmehr ist eine Sowohl-als-auch-Herangehensweise gefragt.

Im schlimmsten Fall führt die Unterschätzung von Unsicherheit dazu, dass die neu entwickelte Strategie weder die Bedrohungen abwehren noch die Chancen nutzen kann. Denn auch die unsichersten Situationen enthalten eine Menge strategisch relevanter Informationen. Zum einen ist es oft möglich, klare Trends zu erkennen, welche Rückschlüsse auf die eigenen Tätigkeiten zulassen. Zum anderen gibt es häufig eine Vielzahl von Faktoren, die derzeit zwar noch nicht bekannt sind, aber durch eine detaillierte Analyse sichtbar gemacht werden können.

Vier Stufen der Unsicherheit und mögliche Antworten darauf

Deshalb lohnt es sich, sich stärker mit den verschiedenen Levels an Unsicherheiten auseinanderzusetzen. Nicht jedes Level bringt dasselbe Mass an Restunsicherheit mit sich.

Arten von Unsicherheiten im Entwicklungsprozess von neuen Strategien.
Vier verschiedene Levels von Unsicherheiten im Strategie-Entwicklungsprozess. (Quelle: Hugh Courtney, Jane Kirkland and Patrick Viguerie)

Level 1: Überschaubare Zukunft

Auf dieser Stufe können Prognosen entwickelt werden, die hinreichend genau sind, um eine einzige strategische Stossrichtung vorzugeben. Die verbleibende Unsicherheit ist für die strategische Entscheidung auf dieser Stufe irrelevant.

Level 2: Alternative Zukünfte

Auf dieser Stufe kann die Zukunft in mehreren Varianten beschrieben werden. Dabei kann die Analyse dazu dienen, den möglichen Varianten unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen.

Level 3: Eine Reihe von Zukünften

Im Unterschied zu Stufe 2 definiert auf dieser Stufe eine kleine Anzahl von Unbekannten eine grosse Bandbreite von möglichen Ergebnissen. Hier lohnt es sich, in möglichst breiten Szenarien zu denken und Anhaltspunkte zu definieren, um ein Eintreten eines Szenarios frühstmöglich erkennen zu können.

Level 4: Echte Mehrdeutigkeit

Auf dieser Stufe können weder Szenarien noch eine Bandbreite von möglichen Ergebnissen ermittelt werden. Hier hilft ein agiler Ansatz, um flexibel und antizipativ zu agieren – am besten in einem iterativen Vorgehen auf Basis von qualitativen Auswertungen.

Weshalb Strategieprozesse trotzdem scheitern

Zahlreiche Studien kamen zum Schluss, dass mehr als zwei von drei Strategieprozessen scheitern. Das liegt aber selten an der Unsicherheit, unter welcher diese Strategien entwickelt werden. Vielmehr führen traditionelle Herangehensweisen, fehlendes Wissen über Strategieprozesse und der Fakt, dass selbst die Führungskräfte in drei von vier Fällen nicht an den Erfolg ihrer Strategien glauben, zum Scheitern dieser Strategieprozesse.

Zahlreiche Strategieprozesse scheitern. Fehlende Transparenz und Konsequenz sind Gründe dafür. Der Future-Back-Ansatz kann dagegen helfen.

Hier habe ich 9 Gründe zusammengefasst, warum zahlreiche Strategien nicht gelingen – und beschreibe 3 Kernelemente einer guten Strategie. → weiterlesen

Umso mehr sollten in unsicheren Zeiten, in welchen klare Indizien zur künftigen Entwicklung der eigenen Organisation fehlen, einige Dinge beachtet werden.

6 Tipps für den Erfolg von Strategieprozessen in unsicheren Zeiten

Bleiben Sie Ihrer Mission und Vision treu

Wenn Gegenwind aufkommt – oder noch schlimmer – wenn vor lauter Nebel kaum noch etwas klar erkennbar ist, ist es unabdingbar, das langfristige Ziel im Auge zu behalten. Orientieren Sie sich dabei an Ihrer Mission, die beschreibt, warum Ihre Organisation existiert und an der Vision, in welcher Sie Ihre langfristigen Ziele festgelegt haben.

Konzentrieren Sie sich auf die bekannten Dinge

Es ist einfach, sich mit Unbekanntem aufzuhalten und Tage oder gar Wochen mit Vermutungen zu vergeuden. Auch wenn die wenigsten von uns die Zukunft vorhersagen können, so können wir doch viele Dinge benennen, die sich wahrscheinlich erstmal nicht verändern werden. Wenn Sie sich zuerst einen Überblick über die Dinge verschafft haben, die sich nicht ändern, wird die Erstellung einer strategischen Ausrichtung weniger entmutigend sein und den Rahmen für die weiteren Entwicklungen bilden.

Beziehen Sie Ihr Team mit ein

Selten gelingt etwas alleine, erst recht in unsicheren Zeiten. Versuchen Sie so früh wie möglich, Ihr Team in den Strategieprozess miteinzubeziehen. Mehr beteiligte Köpfe können umso mehr bestehende Unsicherheiten aufdecken und zu einem vollständigeren Überblick beitragen. Zugleich führt ein früher Einbezug der beteiligten Personen dazu, dass sich diese später den Plan zu eigen machen und sich an seiner Umsetzung beteiligen.

Vermeiden Sie eine Herdenmentalität und geraten Sie nicht in Panik

Weder Panik und Schockstarre, noch blindes Hinterherlaufen ist nun angesagt. Beide Reaktionen auf Unsicherheit sind durchaus sehr menschlich. Die Schockstarre führt in einer Organisation dazu, dass die Energie fürs Abbremsen und später Neustarten von möglichen Initiativen und Strategieprozessen gleich doppelt aufgewendet werden muss. Herdenmentalität wiederum führt dazu, dass Sie blind die Lösungen und Vorgehensweisen Ihrer Konkurrenten kopieren und dabei eine individuelle und zu Ihrer Organisation passendere Herangehensweise ausser Acht lassen. Ein Vorgehen, das selten erfolgsgekrönt ist.

Denken Sie in Etappen und entwickeln Sie ein Navigationssystem für Ihre Organisation

Zeigt sich die Ausgangslage in Ihrem Strategieprozess tatsächlich mehrdeutig (siehe Stufe 4), so ist es wichtig, dass Sie für Ihre Organisation ein Frühwarnsystem erstellen. Ähnlich einem Navigationssystem, das angepasst an die Verkehrssituation jeweils eine neue Route vorschlägt, muss auch Ihre Organisation eine Fähigkeit entwickeln, um auf veränderte Bedingungen zu reagieren und trotzdem das gewünschte Ziel zu erreichen. Einige Unternehmen haben festgestellt, dass ein «rollierender» strategischer Planungsprozess eine passende Methode hierzu darstellen könnte.

Vergessen Sie nicht zu kommunizieren und mit gutem Beispiel voranzuschreiten

In unsicheren Zeiten tendieren viele von uns dazu, sich erstmal zurückzuziehen und in sich zu kehren. Geschieht dies in Organisationen, führt dieses Vakuum schnell zu Eigeninitiative der Mitarbeitenden und einem Chaos von möglichen Strategiemassnahmen. Im Gegenteil: Eine klare und transparente Kommunikation über die Ausgangslage und die (im besten Fall gemeinsam) getroffenen Schritte hilft, um intern Vertrauen zu schaffen und sich gemeinsam auf den selben Weg zu begeben. Damit hängt auch zusammen, als Führungskraft nach dem Kommunizieren tatsächlich mit gutem Beispiel voranzuschreiten, Verantwortlichkeiten zu klären und den gesetzten Zeitrahmen einzuhalten.

Fragen? Anregungen?

Wie gehen Sie mit Unsicherheiten um? Haben Sie weitere Tipps, um Strategieprozesse in ungewissen Zeiten trotzdem zum Erfolg zu führen? Lassen Sie mich gerne an Ihren Gedanken teilhaben – direkt als Kommentar unterhalb dieses Artikels oder als Nachricht über einen persönlichen Kanal.

Tipps zu Strategieprozessen und Organisationsveränderungen liefere ich übrigens auch in unregelmässigem Abstand als kostenlosen Newsletter. Dazu gehören kurze Einordnungen, Leseempfehlungen und Praxis-Beispiele rund um die Themen digitale Transformation, Change Management und Strategiearbeit.

Über 1500 regelmässige Abonnent:innen vertrauen bereits diesem Update für Geist und Herz. Es würde mich sehr freuen, Sie künftig zu meiner treuen Leserschaft zählen zu dürfen. Hier können Sie sich für den Newsletter eintragen.




Weitere Artikel zum Thema

Schreibe einen Kommentar