Leadership Strategie

Open Strategy: Diese Methode ermöglicht kollaborative Strategieentwicklung

Warum traditionelle Strategiearbeit an ihre Grenzen stösst und wie Open Strategy Organisationen auf disruptive Märkte vorbereitet.
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Unternehmen investieren weltweit jährlich über 40 Milliarden US-Dollar in Strategieberatung – und doch scheitern laut Studien bis zu 90 Prozent aller Strategien. Die herkömmliche Art, Strategien zu entwickeln, hat ihre Grenzen längst erreicht. Zahlreiche Unternehmen mussten 2024 ihre Geschäftstätigkeiten reduzieren und sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren.

Das führte vielerorts dazu, dass Strategiearbeit vernachlässigt oder mit Effizienzsteigerung gleichgesetzt wurde. Doch mit zunehmender Marktunsicherheit aufgrund disruptiver Entwicklungen müsste in vielen Organisationen das Gegenteil geschehen: Strategieprozesse sollten umso offener, kreativer und zukunftsorientierter gestaltet werden.

Zuletzt habe ich hier beschrieben, wie strategisches Foresight helfen kann, um sich als Organisation zukunftsfit aufzustellen. In diesem Artikel soll es darum gehen, wie Organisationen innovative Methoden nutzen können, um ihre Strategieprozesse transparenter, inklusiver und effektiver zu gestalten.

Unterschiede zwischen traditioneller Strategiearbeit und Open Strategy

Ein vielversprechender Ansatz hierzu bildet Open Strategy. Die Methode zielt darauf ab, grössere und vielfältigere Gruppen von Menschen innerhalb und ausserhalb der Organisation in Strategieprozesse einzubinden. Diese sind im Gegensatz zur traditionellen Strategiearbeit oft nicht Teil solcher Prozesse. Dazu gehören nicht nur die eigenen Mitarbeitenden, sondern zum Beispiel auch externe Fachexpert:innen, Kund:innen und Lieferant:innen.

Der Begriff «Open Strategy» fand erstmals 2011 in einem Paper von Richard Whittington, Ludovic Cailluet und Bask Yakis-Douglas im British Journal of Management Erwähnung. Erst rund zehn Jahre später erlangte die Methode in der Praxis grössere Bekanntheit. Und auch über 20 Jahre später gibt es in vielen Unternehmen noch immer grosse Vorbehalte gegenüber der Öffnung von Strategieprozessen.

Strategien können auf unterschiedliche Arten entwickelt werden. Dabei stellen sich stets zwei grundlegende Fragen: Wie stark spielt Transparenz über den Prozess und die Resultate eine Rolle? Und wer soll in welchem Ausmass in die Erarbeitung der Strategie involviert werden? Entlang dieser beiden Fragen lassen sich vier unterschiedliche Zugänge zu Strategieprozessen ableiten: verwahren (traditionelle Strategieprozesse), verbinden (internes und externes Crowdsourcing), teilen (Fokus auf strategischer Kommunikation), transformieren (kollaborative Strategieprozesse).

Mehr oder weniger Transparenz und Partizipation im Strategieprozess? Open Strategy setzt auf einen hohen Transparenz- und Partizipationsgrad.
Wie viel Transparenz und Partizipation soll es sein? In Unternehmen wird diese Frage in Strategieprozessen unterschiedlich beantwortet. (Quelle: eigene Darstellung)

Die letzten (Krisen-)Jahre zeigten, dass viele Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nicht ausreichend auf disruptive Gefahren vorbereiten. Studien kamen noch vor der Pandemie zum Schluss, dass etwa 70 % der Geschäftsmodelle durch neue Technologien gefährdet sind. Das liegt vor allem daran, dass zwei Drittel der Unternehmen auf inkrementelle Anpassungen setzen, statt ihr Geschäftsmodell grundlegend neu zu denken – mit drastischen Folgen: Diese Unternehmen werden entweder von der Konkurrenz übernommen oder verschwinden lautlos nach Jahren der Stagnation.

Erfolgsfaktoren für die Open-Strategy-Methode

Erfolgreiches Handeln in disruptiven Märkten erfordert deshalb, Gefahren frühzeitig zu erkennen und laufend durch Experimentieren dazuzulernen. Beides kann durch den Einbezug externer Perspektiven erleichtert werden – und genau hier kommt Open Strategy ins Spiel.

Wille zur Öffnung von ganz oben fördern

Der grösste Widerstand gegenüber einer Öffnung des Strategieprozesses kommt oft von ganz oben. Top-Führungskräfte fürchten, dass ihre Machtstellung und Kontrolle über die Strategie infrage gestellt werden könnte. Doch gerade an der Spitze einer Organisation wirken sich blinde Flecken umso weitreichender aus. Die Einbindung von Mitarbeitenden und externen Fachkräften in den Strategieprozess signalisiert demnach nicht nur Wertschätzung, sondern fördert ganz konkret eine Kultur der Zusammenarbeit und gemeinsamen Verantwortung.

Vertraulichkeit auf ein vertretbares Minimum reduzieren

Juristische Begründungen, weshalb die Offenlegung von Strategien nicht möglich ist, sind oft schneller gefunden, als die Frage innerhalb der Organisation überhaupt gestellt werden kann. Keine Frage: Die Veröffentlichung von sensiblen Informationen kann die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen. In einigen Branchen gelten hierzu deshalb klare Richtlinien. Doch oft entpuppt sich die Vertraulichkeitsfrage als Scheinargument, um sich nicht auf eine Öffnung des Strategieprozesses einlassen zu müssen. Vielfach beobachtet, öffnen sich solche Organisationen für aussenstehende Perspektiven, sobald der externe Druck zunimmt. Häufig ist es zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits zu spät, um die Chancen einer Öffnung vollständig ausschöpfen zu können.

Angst vor zu viel Koordination abbauen

Mehr am Prozess beteiligte Personen bedeutet oft auch mehr Koordination. Die Einbindung einer Vielzahl von Stakeholdern kann den Strategieprozess komplexer und zeitaufwändiger gestalten. Um die Öffnung des Strategieprozesses trotzdem möglichst effizient zu halten, sind effektive Kommunikations- und Koordinationsmechanismen erforderlich. Längerfristig zahlen sich solche Investitionen aus. Ein altes afrikanisches Sprichwort beschreibt diese Ambivalenz: «Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn du weit gehen willst, gehe mit anderen.» Ähnlich verhält es sich mit Strategieprozessen. Wer übrigens nur auf eine Öffnung nach innen setzt, schöpft das Potenzial von Open Strategy nicht vollständig aus. Erst ein Blick von aussen oder aus anderen Fachbereichen hilft tatsächlich, um blinde Flecken aufzudecken.

Passende Formen zur Öffnung entwickeln

Die Öffnung des Strategieprozesses kann durch gezielte Formen und Formate unterstützt werden. Längst nicht jede Form eignet sich, um eine Vielzahl an Meinungen und Facheinschätzungen gleichermassen aufzunehmen und zu priorisieren. Kommt hinzu, dass der Einstieg in ein Open-Strategy-Verfahren einfacher gelingt, wenn eine erste Durchführung abseits des Kerngeschäfts geschieht. Mit wachsendem Vertrauen sinkt die Risikoscheu und Open Strategy kann schliesslich auch im strategischen Kern des Unternehmens Anwendung finden.

Grafik mit einem Dreieck, bei welchem in der Mitte die Open-Strategy-Methoden notiert sind und an den drei Ecken Community, Thema und Bereich. Ausserhalb des Dreiecks führt ein Pfeil zur Frage nach dem Zweck der Öffnung.
Die Einführung von Open-Strategy-Methoden bedeutet, sich über den Zweck, das Thema, den Organisationsbereich und die einzubeziehenden Personen im Klaren zu sein.

Es geht bei Open Strategy also nicht nur darum, wie die Strategieentwicklung für möglichst viele Personen zugänglich gemacht werden kann. Viel mehr stehen die Fragen im Zentrum, bei welchem strategischen Thema in welchem Bereich der Organisation welche Community mit welchem Zweck mitwirken soll.

Wie die Open-Strategy-Methode im Unternehmen implementiert werden kann

Open Strategy bietet Organisationen die konkrete Möglichkeit, strategische Prozesse multiperspektivisch und integrativ zu gestalten. Um Open Strategy in der eigenen Organisation erfolgreich einzuführen, können folgende Schritte helfen:

1. Ziele und Rahmenbedingungen definieren

In einem ersten Schritt werden die strategischen Herausforderungen definiert: Welcher Bereich soll mit Open Strategy angegangen werden? Aber auch die Fragen nach dem Grad der Offenheit und den Grenzen des Prozesses sollen hier geklärt werden.

2. Stakeholder identifizieren und einbinden

Relevante interne und externe Anspruchsgruppen, wie Mitarbeitende, Kund:innen und Lieferant:innen, werden ermittelt und mit klar definierten Kommunikationswegen in den Prozess integriert. Das Entwickeln einer Stakeholder-Map kann dabei unterstützen, die unterschiedlichen Gruppen zu ermitteln und zu priorisieren.

3. Geeignete Formate und Tools auswählen

Um die Open-Strategy-Methode möglichst praxisnah zu implementieren, lohnt es sich, auf die Ziele und Organisationskultur abgestimmte Formate zu definieren. Das können interdisziplinäre Workshops, Hackathons, Barcamps, Innovationswettbewerbe oder auch asynchrone Formate auf Basis digitaler Plattformen (z.B. via Miro, Trello oder Asana) sein. KI-Anwendungen können helfen, um die Vielzahl von Inputs zu analysieren und zu clustern oder relevante Ideen miteinander zu verbinden.

4. Pilotprojekte starten

Es lohnt sich, die Open-Strategy-Methodik anfänglich in begrenztem Rahmen, vorzugsweise ausserhalb des Kerngeschäfts durchzuführen. Dies minimiert Risiken und hilft, die anfängliche Skepsis bei internen Stakeholdern abzubauen.

5. Ergebnisse evaluieren und Prozesse skalieren

Nach der erstmaligen Durchführung werden die Resultate der Pilotprojekte analysiert und Optimierungspotenziale identifiziert. Schrittweise kann der Ansatz nun in zentrale strategische Prozesse überführt werden und so längerfristig die Unternehmenskultur transformieren.

Wie Organisationen Open Strategy einsetzen

Verschiedene Unternehmen und Organisationen haben die Open-Strategie-Methodik für sich entdeckt und in ihre Strategieprozesse integriert.

Strategy Jams bei IBM

Best Practice-Beispiel: Open Strategy bei IBM.

Bei IBM hat sich bereits vor Jahren das Format der Strategy Jams etabliert, welches einer grossen Online-Konferenz ähnelt. Tausende Teilnehmer:innen diskutieren parallel in verschiedenen Streams über strategische Fragen. Moderator:innen verbinden relevante Ideen, während KI-Tools die Vielzahl an Kommentaren verarbeiten und nach der Veranstaltung auch bei der Analyse unterstützen.

Open Strategy bei Wikipedia

Wikimedia, die Organisation hinter Wikipedia, hat aufgezeigt, wie ein transparenter und dezentraler Open-Strategy-Ansatz mit über 1000 Teilnehmer:innen weltweit erfolgreich umgesetzt werden kann. Der strukturierte Vier-Stufen-Prozess – von Wissensaufbau über Taskforce-Arbeit bis hin zur Konsolidierung und Implementierung – nutzte kollaborative Intelligenz, um strategische Innovation zu fördern. Bis heute dient diese Umsetzung noch immer vielen Organisationen als Vorbild für die Implementation der Open-Strategy-Methodik.

Open Strategy bei der NASA

Best Practice-Beispiel: Open Strategy bei der NASA.

Die NASA hat sich bereits in den 1960er-Jahren von einem hierarchischen, geschlossenen zu einem offenen, kollaborativen Innovations- und Strategieansatz entwickelt. Durch die Einführung von offenen und kollaborativen Strategieprozessen, die externe Partnerorganisationen über Ausschreibungen und Wettbewerbe einbindet, konnten in explorativen Prozessen die Kosten gesenkt und die operative Effizienz gesteigert werden.

Fragen? Andere Beispiele?

Haben Sie in Ihrer Organisation bereits Erfahrungen mit offenen und kollaborativen Strategieprozessen gesammelt? Oder kennen Sie Beispiele von anderen Organisationen, welche mit der Methodik experimentiert haben? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die unten stehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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