Bis Ende Jahr übersteigt die Zahl der internetfähigen Mobilgeräte die Anzahl Menschen weltweit. Dieser Trend wirkt sich auch auf die Mediennutzung aus. News werden nicht mehr stationär vor grossen Bildschirmen konsumiert, sondern unterwegs und zu jeder Zeit. Zehn Thesen, wie sich diese rasante Entwicklung fortsetzen könnte.
Jüngste Studien des Telekommunikationskonzerns Cisco besagen, dass sich das Datenvolumen pro Monat von mobilen Endgeräten bis in vier Jahren verfünffachen wird (Stand 2013: 529 MB/Monat; 2018: 2,7 GB/Monat). Ausserdem rechnet Cisco mit einer Pro-Kopf-Quote von 1,4 internetfähigen Mobilgeräten bis Ende 2018.
Diese Entwicklung hat einerseits Auswirkungen auf die Mediennutzung aber auch auf die Produktion dieser journalistischen Inhalte. Im Rahmen eines Gastreferats an der Hochschule für Wirtschaft Zürich, machte ich mir einige Gedanken zu möglichen Unternehmensfeldern in der mobilen Medienproduktion. Die zehn folgenden Thesen sind nach ihrer möglichen zeitlichen Umsetzung gegliedert. Beginnend mit Entwicklungen, die bereits aktuell stattfinden.
These 1: Personalisierung
Bereits 2002 startete Google seinen bei Verlegern umstrittenen Aggregator Google News. Unterdessen wird der Dienst in über 43 Ländern in 20 Sprachen angeboten. Dabei gestaltet sich die Personalisierung noch eher rudimentär mittels manueller Einstellung der interessierten Themen. Mit der Entwicklung von Facebook und Twitter landete die streambasierte Informationsrezeption endgültig bei den Nutzern.
Noch wird über Sinn und Unsinn von algorithmenbasierten Empfehlungsdiensten heftig diskutiert – kommt hinzu, dass diese Dienste (auch bei Facebook) noch nicht am Ende ihrer Entwicklung stehen. Trotzdem macht die Idee, personalisierte Inhalte auch im journalistischen Umfeld anzubieten durchaus Sinn. In der Schweiz will watson als erstes Medienunternehmen auf diese Entwicklung aufspringen und es seinen registrierten Nutzern ermöglichen, bestimmte Themen oder Autoren zu abonnieren.
These 2: Mobil live produzieren
Für viele Journalisten wurde das Smartphone längst zu einem der wichtigsten Arbeitsgeräte. Bereits vor einiger Zeit habe ich dazu Apps und kleine Helfer vorgestellt, wie Reporter unterwegs produzieren können. Ein Journalist, der sich das mobile Produzieren und Experimentieren mit neuen Möglichkeiten dick auf die Fahne geschrieben hat, ist Tim Pool. Aktuell arbeitet der 28-Jährige für Vice und fällt immer wieder mit originellen Umsetzung aktueller Themen auf. Jüngst mittels Google Glass-Livestream von den Unruhen auf dem Maidan in Kiew.
Ein anderer Journalist, der sich ebenfalls von diesen mobilen Möglichkeiten begeistern lässt, ist Nick Garnett. Während Unwettern oder dem lokalen Wahlkampf berichtete der Radioreporter live via iPhone mit der App «Luci Live».
Ausserdem kann jeder Smartphone-User dank Gratis-Apps wie Bambuser oder Ustream in Sekundenschnelle noch an Ort und Stelle live mit Bewegtbild auf Sendung gehen.
These 3: Verifikation
Mit der Zunahme von Bildern und Videos von unterwegs, nimmt auch die Relevanz der journalistischen Verifikation zu. Unlängst habe ich dazu unzählige technische Tools und Tricks zusammengestellt. Einen Schritt weiter gehen allerdings Entwicklungen, die den Journalisten helfen sollen, Aufnahmen miteinander zu vergleichen. Dies ist etwa beim Rashomon-Projekt der Berkeley-Universität der Fall. Die Idee dahinter ist simpel: Augenzeugen-Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln sollen übersichtlich miteinander vergleichbar gemacht werden.
Doch eine erste Verifikation von Inhalten kann auch bereits unterwegs geschehen. So ist zum Beispiel Jeffrey’s Exif-Datenausleser (zeigt die Metadaten von Bildern an) auch auf dem Smartphone nutzbar. Und seit kurzem kann auch die Google-Rückwärtssuche mobil verwendet werden. Dies hilft herauszufinden, ob ein Bild bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Netz veröffentlicht wurde.
These 4: Karten als Navigation
Alle kennen das: Wir stehen mitten in einer (fremden) Stadt und suchen ein Kino, in dem der eine bestimmte Film in der nächsten Stunde startet. Statt auf dem Smartphone mühsam via Google, irgendeiner komischen Kinoprogramm-Website und schliesslich Google Maps zum Ziel zu finden, sollte es Kartendienste geben, die uns zum einen inhaltlich aber auch geografisch weiterhelfen. Diesen Ansatz verfolgt lokaler.de – ein Startup, das aktuell aus Opendatacity entstanden ist.
In diesem Zusammenhang könnten auch Servicedienste angeboten werden, die dem User aktuelle Informationen entsprechend seiner aktuellen Geoposition liefern. Getreu dem Motto: das Lokale interessiert, jenseits der Digitalisierung.
These 5: Video-Nutzung
In vier Jahren wird die mobile Videonutzung zwei Drittel des weltweiten mobilen Datenverkehrs verursachen. Die Cisco-Studie rechnet vor, dass sich das Videostreaming unterwegs bis 2018 vervierzehnfachen (14 x mehr!) wird. Dies liegt einerseits an der allgemeinen Verbreitung von internetfähigen Mobilgeräten aber andererseits auch an den schnelleren Mobilnetzen (Stichwort: 4G und LTE) und damit zusammenhängend mit günstigeren Flatrate-Angeboten der Mobilfunkunternehmen.
Ich mag mich an den Sprung von Felix Baumgartner aus der Stratosphäre erinnern. Lange war unklar, wann das Experiment durchgeführt werden soll, mehrmals wurde der Termin verschoben und dann schliesslich doch durchgeführt. Ich war damals mitten im Abendverkehr, unterwegs in der Strassenbahn und wollte dennoch dieses einmalige Live-Ereignis miterleben. Dank eines Livestreams von Youtube war dies auch unterwegs auf dem Smartphone möglich. Mit über 8 Millionen Zuschauern stellte der Sprung auch für Youtube einen Rekord dar. Im Nachhinein hörte ich von eingeweihten Personen, dass diese enorme Nutzung selbst die Server des Internetriesen Google fast in die Knie zwang.
Diese Nutzungszunahme zeigt, wohin die Reise in den nächsten Monaten gehen könnte. Doch es entstehen nicht nur neue Nutzungsformen, sondern auch interaktive Arten der Berichterstattung. Während jeder User jederzeit mit seinem Smartphone live auf Sendung gehen kann (siehe These Nr. 2), ist es dank Google Hangout on Air und Skype auch möglich, dass sich Zuschauer von unterwegs live in Sendeformate einschalten.
These 6: Geolokalisierung
Mit der Entwicklung von News-Apps auf dem Smartphone entstand auch das unsägliche Wettrennen unter Mitbewerbern bei Breaking News als schnelleres Medienunternehmen Push-Nachrichten zu versenden. Diese Benachrichtigungen können allerdings durchaus sinnvoll sein – zum Beispiel im lokalen Umfeld. Bisher gibt es allerdings noch keine technische Lösung, um Push-Nachrichten auf einzelne Regionen einzuschränken. Meiner (technischen Laien-)Meinung nach sollte es ein Leichtes sein, die Geoposition des Smartphones mittels der News-App abzugreifen und dementsprechend nur die für den User relevanten Nachrichten als Direktnachricht zukommen zu lassen.
Selbstverständlich hat diese Entwicklung auch eine Kehrseite der Medaille: Während auf diesem Weg User neutral über gewisse Ereignisse informiert werden können, besteht natürlich auch die Möglichkeit, bei Grossereignissen von medialem Interesse den Leserreportern gewisse Aufträge mittels Push-Nachricht zukommen zu lassen. Was bei der BILD via App bereits gemacht wird, könnte auf diesem Weg von Boulevard-getriebenen Redaktionen schonungslos ausgenutzt werden.
In Zusammenhang mit der Geolokalisierung kann auch diese Entwicklung aus Hamburg betrachtet werden: Während Anfang Jahr Teile der Stadt von der Polizei zum Gefahrengebiet erklärt wurden, entwickelten Journalisten und Coder eine App namens «Call a reporter», die den jungen Hyperlokaljournalisten von Mittendrin ihre Berichterstattung erleichtern sollte. Dabei konnten Bürgerinnen und Bürger ihre Beobachtungen direkt via Smartphone-App den Reportern zukommen lassen und gleichzeitig einen Journalisten an den Ort des Geschehens bestellen.
These 7: Monetarisierung
Sämtliche dieser Entwicklungen sollten am Ende auch einen Ertrag für die Macher abwerfen. Ich bin mir sicher, dass sich mehrere der oben genannten Thesen durchaus vermarkten liessen. Allerdings steht da nicht der Journalismus im Zentrum, sondern zum Beispiel ein kuratierter Service oder das nutzerfreundliche und mobil verfügbare Angebot. Unlängst gibt es in der Schweiz zum Beispiel Fernsehapps, die dem Nutzer unterwegs verschiedene Livekanäle liefern. Die meisten von ihnen sind werbefinanziert und werden rege genutzt.
Doch auch ein Service wie die oben beschriebene Navigation via Karte ist durchaus sinnvoll vermarktbar. Unlängst präsentierte der deutsche Journalist Richard Gutjahr unter anderem sein Modell, wie er journalistische Inhalte monetarisieren will. Immerhin hat das Smartphone uns gelehrt, dass wir innerhalb weniger Klicks Produkte oder Dienstleistungen bestellen und bezahlen können – und die verschiedenen App Stores beweisen, dass sich damit durchaus viel Geld verdienen lässt.
These 8: Mobiler Datenjournalismus
Datenjournalismus ist in aller Munde. Was für die einen die Rettung des Journalismus ist, ist für andere schlicht eine weitere Darstellungform von Geschichten im Netz. Was bei der Diskussion um Visualisierungen und Darstellungen von datenbasierten Geschichten oft verloren geht, ist die Auswertung auf Mobilgeräten.
Quartz zeigt, dass dies allerdings durchaus möglich ist. Das junge Medium aus dem Altantic-Konzern lässt immer wieder mit komplexen aber fürs Smartphone optimierten Datengeschichten aufhorchen. Eine Übersicht zu datenjournalistischen Umsetzungen für Mobilgeräte findet sich unter mobileinfovis.com.
These 9: Serious Games
Unlängst sind Spiele auf dem Smartphone salonfähig geworden. Quizduell, ein Spiel, das auf Wissensfragen und Duellen mit Freunden basiert, konnte Anfang Jahr rund fünf Millionen Downloads verzeichnen. Diese Entwicklung zeigt, dass sich die Nutzer nicht nur mit simplen Nonsens-Spielen die Zeit vertreiben, sondern – falls sie gut gemacht sind – durchaus auch bereit sind, für informative Games unterwegs Zeit und Geld einzusetzen.
Es stellt sich die Frage, wann Medienunternehmen diese Entwicklung für sich entdecken. Ein erstes Vorbild für diese Tendenz (allerdings nicht optimiert für Mobilgeräte) wurde jüngst von Arte präsentiert. Weitere könnten zum Beispiel hier entstehen.
These 10: Google Glass
Die letzte der zehn Thesen habe ich bewusst mit Google Glass betitelt. Sie soll aufzeigen, dass die mobile Mediennutzung erst gerade begonnen hat. Egal ob Google Glass, iWatch oder wie sie alle heissen: Die Medienrezeption unterwegs wird sich immer den neuen Geräten anpassen müssen. Schöne Beispiele dazu liefern zur Zeit die New York Times und CNN, die beide bereits erste Apps für Google Glass konzipiert haben.
Bei sämtlichen oben genannten Thesen bin ich mir sicher, dass die Innovation nicht zwingend von den bestehenden Medienunternehmen getrieben sein muss. Immer wieder zeigen internationale Beispiele, dass neue, noch nie dagewesene Publikationsformen durchaus ihre Daseinsberechtigung haben und oft von Einzelpersonen oder kleinen Startups entwickelt werden.
Trotzdem bleiben Fragen: Kann das sein? Welche These macht am meisten Sinn oder was fehlt? Teilen Sie es mir in den untenstehenden Kommentaren mit.
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