«Von der jungen Generation will ich lernen: Jeden Tag!»

Vor genau einem Jahr ging der interaktive «Jugendsender» joiz zum ersten Mal auf Sendung. Für die Interview-Serie «Unsere Zukunft» habe ich mit Alexander Mazzara, CEO von joiz, über sein Journalismusverständnis, den Spardruck bei jungen Journalisten und die Herausforderung, online Geld zu verdienen, gesprochen.

Alexander Mazzara, CEO von joiz
Alexander Mazzara, CEO von joiz

Weshalb hast Du Dich vor vielen Jahren entschieden, Journalist zu werden?

Alles hat mit der Musikberichterstattung angefangen. Eigentlich schliesst sich jetzt der Kreis wieder, obwohl ich noch nicht am Ende meines Berufslebens bin. Als ich, jünger als 20 Jahre alt, für die Aargauer Zeitung an Wochenenden ab und zu Konzerte besuchen durfte, fand ich es super, neugierig zu sein und Fragen stellen zu dürfen. Damals arbeitete ich noch im Zeilenhonorar, einem sehr fragwürdigen Bezahlmodell für Journalisten. Ich erhielt damals pro Zeile einen Franken und falls ein Foto von mir gedruckt wurde pro Bild 120.- obendrauf. Das weckte das Interesse, mit dem Bild etwas auszusagen, was man im Text nicht bereits konnte. Dies hat mich extrem gepackt, mit dem schönen Nebeneffekt, dabei sogar etwas zu verdienen.

Ein multimedialer Einstieg in den Journalismus?

Man muss relativieren: Damals gab es noch kein Internet. Deshalb war ein Bild bereits multimedial. Daneben habe ich noch etwas Radio gemacht, allerdings begann ich erst nach meinem Studium als Bauingenieur und dem Nachdiplom am MAZ so richtig im Journalismus zu arbeiten.

Weshalb würdest Du Dich heute noch einmal für diesen Beruf entscheiden?

Ich finde es einen tollen Job. Wenn man ein neugieriger, offener und unvoreingenommener Mensch ist – und das bin ich – der andere Menschen gerne hat, lernt man jeden Tag etwas Neues kennen. Zudem liebe ich das Geschichtenerzählen.

Bei joiz arbeitest Du vor allem mit jungen Leuten, die erstmals im Journalismus Fuss fassen. Siehst Du Dich selbst als Vorbild von diesen?

Das müsste man sie fragen. Ich bin ja nicht der Programmchef, dafür haben wir unsere Programmchefin Elif Erisik, die näher am Daily Business ist, als ich es bin. Aber natürlich versuche ich meine Erfahrung in einer Form weiterzugeben und so ein gutes Vorbild zu sein.

Fühlst Du Dich mehr als Chefredaktor einer Redaktion oder als CEO einer Unternehmung?

Wir haben eine Programmchefin und als CEO habe ich sonst sehr viel zu tun. Wenn man aber über 15 Jahre in diesem Bereich tätig war, bringt man ein gewisses Know-How mit. Wir diskutieren laufend und auch sehr offen miteinander.

Zudem geht es ums Geschichtenerzählen, das joiz exemplarisch versucht weiterzudrehen: das sogenannte Transmedia Storytelling. Eine neue Form, die zum Teil technologische Grundbedingungen voraussetzt, damit man es überhaupt betreiben kann. So beginnen wir zum Beispiel eine Geschichte auf einem Vektor zu erzählen, um sie dann auf einem anderen weiterzuziehen. Zuschauer können bei uns zum Beispiel ihre Fragen einbringen. Der Erfolg der Interaktion ist nicht die technologische Möglichkeit, dass man auf einem Gerät, auf einer Website oder in einer App eine Frage stellen kann. Der Erfolg ist vielmehr, wenn die Frage sinnvoll in der Sendung verknüpft wird und die Zuschauer die Möglichkeit haben, sowohl im Vorfeld, während und nach der Sendung einen Teil davon zu sein. Erst das macht es aus. Das braucht viel Erfahrung und ich bringe mich da gerne ein.

Mit dem Ausprobieren entstehen auch Fehler. Sollte diese trail-and-error-Kultur im Schweizer Journalismus verstärkt werden?

Wer sagt, er wisse wie alles funktioniert, hat einfach nicht Recht. Man kann im Voraus nie sagen, wie etwas funktionieren wird. Vor joiz habe ich unter anderem bei SF Spezial gearbeitet. Da hatte ich eine ziemlich offene Plattform des Schweizer Fernsehens, um neue Format- und Themenwochen auf verschiedenen Vektoren auszuprobieren. Deshalb kann ich nicht sagen, ich hätte das Ausprobieren total vermisst und könne es erst jetzt endlich machen. Es ist klar, dass wir mit unserem kleinen Unternehmen nicht derart in der Öffentlichkeit stehen, dass jeder Fehler auf die Goldwaage gelegt wird und einen die Sonntagszeitungen kleinschreiben, wenn man etwas falsch macht. Das gibt uns Möglichkeiten, bei welchen andere vielleicht noch zurückhaltender und risikoscheuer sind. Wir riskieren Vieles, manchmal funktioniert es, manchmal geht nur ein Teil auf. Dafür geschehen vielleicht Dinge, die man so in dieser Intensivität nicht erwartet hätte.

Welche Fehler muss ein junger Journalist zu Beginn seiner Karriere machen, um das Business zu begreifen?

Ich rate immer allen, sie sollen einfach loslegen. Viele junge Menschen sagen, sie möchten Journalist werden, dann frage ich immer: Hast du schon irgendetwas geschrieben, egal ob für die Pfadi-Zeitung oder in einem Blog? Als Journalist muss du einen gewissen Drang haben, was du irgendwo erfährst anderen mitteilen zu wollen. Nur für sich selbst etwas zu machen und zu denken, es wäre eigentlich schon noch cool, Journalist zu sein, macht mich ehrlich gesagt etwas skeptisch. Sämtliche Journalisten bei joiz waren zuvor in irgendeiner Form journalistisch tätig. Diese Leute haben Neugier, Tatendrang und ein journalistisches Grundverständnis. Der Rest geben wir ihnen mit.

Sind das auch die Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, die Du von jungen Journalisten erwartest?

Neugierde ist ganz gross geschrieben. Doch auch eine gewisse Skepsis, nicht immer gerade alles zu glauben und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, erwarte ich von jungen Journalisten. Was beim Fernsehen dazu kommt: Man muss ein Teamplayer sein. Im multimedialen Journalismus wird das noch viel wichtiger werden. Denn man ist immer mehr auf andere Menschen angewiesen, die etwas bearbeiten, kopieren, transkodieren, filmen, schneiden, redigieren. Das trifft nicht nur auf Moderatoren, sondern auch auf klassische Redaktoren zu. Zudem erwarte ich eine Offenheit, was die eigene Arbeit anbelangt. Dass man mit viel Hingabe und Leidenschaft arbeitet und ständig versucht, sich zu verbessern.

Da erstaunt es doch, dass viele junge Journalisten zwar Onlinemedien nutzen, um sich zu informieren, spätzer aber trotzdem in einer «traditionellen» Mediengattung arbeiten möchten?

Vielleicht müsste man hierzu eine grundsätzlichere Diskussion führen: Was heisst überhaupt Fernsehen oder Zeitung? Ich glaube, sobald sich die Nutzungsmessung ändert – und das ist nächstes Jahr der Fall – zum Beispiel wenn ein Aufruf eines joiz- oder SF-Beitrages auf Youtube auch zur klassischen Nutzung dazugezählt wird, so nennt sich dies ebenfalls Fernsehen. So gilt nicht mehr das Gerät, der Fernseher, als Fernsehen, sondern das Bewegtbild an sich. Das nennt sich vielleicht immer noch Fernsehen, ist aber Bewegtbild auf allen möglichen Vektoren. Ich denke, dass sich dann auch die Wahrnehmung verändern wird.

Trotzdem wird gerade Onlinejournalismus immer noch als etwas qualitativ Schlechteres gewertet. Weshalb dies?

Wer sagt das? Ich finde diese Sicht total überholt. Es gibt sehr viele gute Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Zum Beispiel 20 Minuten Online – dessen Redaktion bereits exemplarisch mit neuen Varianten und Grafiken ganze Stories erzählen. Das kann nur ein Onlinemedium und würde in einem Printmedium nicht funktionieren. Kommt hinzu, dass viele traditionelle Medienmarken Vertrauen und Seriosität ausstrahlen, das über Jahre aufgebaut wurde. Bei allem Respekt gegenüber jungen Marken, die brauchen auch ihre Zeit, um diese Attribute aufzubauen. Das kann man nicht einfach mit einigen lustigen Videos oder Texten aufbauen, das braucht Zeit. Das gilt auch für uns – wir sind noch nicht mal ein Jahr alt und sind noch längst nicht angekommen.

Könnte dies auch ein Grund sein, weshalb es journalistische Berufseinsteiger eher zu traditionellen Mediengefässen zieht?

Das müsste man diese fragen. Aber es gibt sicher Journalisten, die sagen wollen, sie arbeiten beim Tagesanzeiger oder beim Schweizer Fernsehen. Steht man abends an der Bar tönt es definitiv cooler, wenn man sagen kann, man arbeite beim Schweizer Fernsehen. Am Schluss strahlt die Marke ja auch auf die Person ab. Das sah ich auch in meiner eigenen Karriere. Rief ich als Journalist an und sagte «Schweizer Fernsehen Kassensturz», war meist am anderen Ende des Telefons für drei Sekunden Ruhe. Wenn ich jeweils als RTL-Journalist anrief, hiess es oft «Oh, ich habe gerade keine Zeit». Je nach dem steigt man auf einer völlig anderen Ebene in ein Gespräch ein.

Insgesamt hat der Journalismus in unserer Gesellschaft einen eher schlechten Ruf. Was machst Du persönlich, um das Verständnis für unsere Berufsgattung zu verbessern?

Ich bin nicht einer, der an viele Partys geht, um Cüplis zu trinken. Aber ich bin immer wieder dafür da, an Podiumsdiskussionen jeglicher Art aufzutreten, um unsere Position als Journalisten und auch als wichtigen Teil unseres Staates und unserer Gesellschaft darzulegen – das wird mit Social Media nicht anders. Ich glaube nicht, dass es mit den neuen Medien weniger Journalisten braucht, nur weil jeder Journalist sein kann, der drei Zeilen gerade schreiben kann. Es braucht vielmehr einen Filter, eine Übersetzung, eine Gewichtung, jemand der eine Plattform bietet und Sachen verschieden gewichtet. Wir sind Journalisten: Auch was wir auf Twitter und Facebook machen ist Journalismus.

Welches sind die grössten Herausforderungen für junge Journalisten in Zukunft?

Ich glaube, die Medien werden sich in den nächsten Jahren noch dramatischer wandeln. Das hat längst begonnen: Bei kleineren Regionalzeitungen findet bereits eine Konsolidierung statt. Trotzdem ist der Bruch in der Mediennutzung noch nicht im Werbemarkt angekommen. Man kann mit klassischen Produkten immer noch Geld verdienen. Das wird sich ändern, 100%ig. Gleichzeitig wissen wir, dass man online noch nicht wirklich Geld verdienen kann. Am Ende des Tages muss ein Medium auch finanziell erfolgreich sein, damit es langfristigen Bestand hat. Deshalb erwarte ich in den nächsten Jahren fundamentale Veränderungen in diesen Formen. Das bedeutet vor allem Unsicherheit. Dass jemand mit 30 Jahren bei einer Zeitung als Journalist anfängt und mit 65 am selben Ort in Rente gehen kann, wird es in Zukunft kaum geben.

Was bedeutet dies aus finanzieller Sicht? Es wird immer mehr gespart, vor allem bei den Löhnen von jungen Journalisten.

Was heisst das, es wird immer mehr gespart?

Dass zum Beispiel der Antrieb, im Journalismus zu bleiben, nicht mehr derselbe sein wird?

Ich bin skeptisch, wenn einer nur wegen des Lohnes einen Beruf ergreift. Das mag bei einer Bank funktionieren, nicht aber im Journalismus. Einverstanden, wenn jemand nicht mehr von seiner beruflichen Tätigkeit leben kann, dann haben wir und die Gesellschaft ein Problem. Aber wenn einer sagt «Ach, ich verdiene 1000 Franken mehr, wenn ich irgendwo in die PR gehe», dann soll er in die PR gehen. Denn dann ist er kein wahrer Journalist.

Gespart wird auch bei Berufseinstiegern, die erste Erfahrungen sammeln. Welche Entwicklung folgt auf die «Generation Praktikum»?

Klar, der Spardruck ist da. Aber ich muss sagen, wenn ein Medium Praktikanten nur zum Sparen anstellt, so steht es schlecht um diese Unternehmung. Ein Praktikum ist allerdings auch eine Chance – eine für beide Seiten. Eine Chance, damit der Praktikant ausprobieren kann, ob er in diesem Betrieb oder in diesem Beruf wirklich Fuss fassen will. Eine Chance aber auch für die Unternehmung. Man merkt nach drei Monaten sehr schnell, wen man wirklich behalten möchte. Wir investieren ziemlich viel in unsere Praktikanten, niemand arbeitet bei uns gratis. Unser Ziel ist klar: Wer sich bewährt, dem versuchen wir eine Festanstellung zu geben.

Gibt es auch Dinge, die gestandene Journalisten von jungen Berufskollegen lernen können?

Sicher, jeden Tag. Zwei Beispiele: Als gestandener Journalist – wie du sagst – weiss ich, wie man Geschichten erzählt. Die jungen joiz-Journalisten wissen im Gegenzug viel besser, wie ihre Generation funktioniert. Das zeigt sich schon an der Wortwahl. Ich lasse ihnen dabei freie Hand. Sie treffen die Sprache unseres Zielpublikums. Ich glaube, das gilt für jedes Medium. Ein erfahrener Journalist, der 50- oder 55-jährig ist, müsste ja auch ein Interesse haben, dass ihn 20-Jährige lesen. Ein anderes Beispiel ist die Mediennutzung: Ich sehe immer wieder, auch wenn ich mit älteren Kollegen spreche, dass sie mich ganz erstaunt fragen, wie ich mit all diesen neuen Technologien überhaupt umgehen könne. Oft sind grosse Vorurteile im Raum. Aber wenn du dann mit ihnen sprichst und sie fragst: Hast du ein Profil bei Facebook, hast du schon mal irgendwo etwas gepostet oder geliked, folgt immer ein «Oh neinein». Die Mediennutzung verändert sich, junge Journalisten leben uns dies tagtäglich vor. Deshalb muss man einfach offen und neugierig sein. Ich frage immer wieder, wie die Jungen bei uns Medien nutzen, wann sie online gehen, was sie im Internet machen, wie sie auf einer Seite navigieren usw. Es gibt so viele Sachen, die interessant sind und wir von der jüngeren Generation lernen können. Ich sage dies ganz bewusst, da ich selbst eigentlich zwei bis drei Generationen älter bin als diese Leute. Von ihnen will ich lernen: Jeden Tag!


Dieser Artikel wurde zuerst auf jungejournalisten.ch veröffentlicht.

 

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3 Kommentare

Kurze Frage: Wieso veröffentlichst du den Beitrag bei JungeJournalisen und hier? Mal abgesehen vom von Google schnell mal abgestraften doppelten Content gibt es dafür ja auch inhaltlich keinen wirklichen Sinn – ein Hinweis wäre viel nützlicher gewesen und würde den Traffic direkt hin zu JJ sorgen – dafür war das Interview ja wahrscheinlich auch gedacht. Content is King.

Danke für den Hinweis, mein Vorgehen mag durchaus erstaunen. Das Gespräch und dessen Inhalt waren mir allerdings zu wichtig, um dies nur an einem Ort stattfinden zu lassen. «Content is King» richtig verstanden bedeutet schliesslich, dass der Inhalt und nicht der Traffic zählt.

Jedoch soll guter Inhalt einem Zweck förderlich sein, wie die durchaus zu unterstützende Seite JungeJournalisten.ch es ja auch ist. Deshalb wäre gebündelter Traffic und folglich auch gebündelte Diskussion einen Lösung, die in Zukunft in Erwägung gezogen werden sollte.

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