Growth Hacking im Journalismus: Wie Medienhäuser digital wachsen können

Ein weiteres Buzzword oder doch die ultimative Formel für schnelles Wachstum? «Growth Hacking» wird seit einigen Jahren als kreative Marketingtechnik, Allheilmittel und ultimative Antwort im Aufbau von neuen Produkten angepriesen.

Im Kern bedeutet «Growth Hacking», mit schnell umsetzbaren Massnahmen möglichst effizient ein skalierbares Wachstum zu erzielen. Die Methodik setzt sowohl auf Kreativität bei der Entwicklung von möglichen Massnahmen als auch auf analytisches Denken für die datengetriebene Auswertung des Erfolgs dieser Massnahmen. «Growth Hacking» ist also nicht nur ein Tool, sondern vielmehr ein Mindset.

Weg von Zufälligkeiten – hin zum nachhaltigen Lernprozess

So weit die Theorie. Doch was hat dies mit Journalismus und der Kommunikationswelt zu tun?

Im digitalen Wettbewerb messen sich Medienunternehmen, Kommunikator:innen und Content Creator gleichermassen an ihrer erzielten Aufmerksamkeit. Es gilt die Devise: Nutzer:innen möglichst schnell und einfach ködern. Regelmässig und nachhaltig an sich binden. Im besten Fall als zahlende Kund:innen gewinnen.

Es geht also darum, aus der Zufälligkeit von möglichen Massnahmen einen nachhaltigen Prozess mit schnellen Experimenten und Lernmomenten zu schaffen.

Iteratives Kreislaufmodell mit den vier Schritten «analysieren», «Ideen entwickeln», «priorisieren» und «testen».
Ein iteratives Vorgehen beruht meist auf ähnlichen Phasen: analysieren, Ideen entwickeln, priorisieren, testen.

Dieser fortlaufende Lernprozess lehnt sich am Design-Thinking-Prozess an und besteht aus den Phasen «analysieren», «Ideen entwickeln», «priorisieren» und «testen».

Schritt um Schritt zur Konversion: Der AAARRR-Funnel erklärt

Wer in der digitalen Öffentlichkeit ein Geschäftsmodell entwickeln will, sollte sich neben diesem konstanten Lernprozess vor allem mit dem Ansatz des «Growth Hacking» auseinandersetzen. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich dabei um mehr als nur ein Arbeitswerkzeug. Im Zentrum von «Growth Hacking» steht ein schrittweises Vorgehen, das einem Trichter gleicht. Dieser wird auch AAARRR-Funnel oder Pirate-Funnel genannt.

Ziel dieses Vorgehens ist, Schritt um Schritt zufällige Nutzer:innen zu regelmässigen Kund:innen zu konvertieren. Dieses Vorgehen bedingt, dass anfangs deutlich mehr Menschen angesprochen werden müssen, als am Ende tatsächlich als Kund:innen gewonnen werden können.

Der AAARRR-Funnel (oder in Deutsch: Konversionstrichter) besteht aus den 6 Schritten: Awareness, Acquisition, Activation, Retention, Referral, Revenue. Im folgenden erkläre ich die 6 Schritte mit einer konkreten Fragestellung pro Schritt. Zudem zeige ich auf, welche Massnahmen im Medienbereich pro Schritt umgesetzt werden können.

AAARRR Modell mit den Phasen Awareness, Acquisition, Activation, Retention, Referral, Revenue.

Awareness: Wo und wann hören Nutzer:innen zum ersten Mal von uns?

Acquisition: Wie werden Nutzer:innen (regelmässig) auf uns aufmerksam?

Activation: Wie schnell können wir unseren Nutzer:innen einen Aha-Moment zaubern?

Retention: Wie viele unserer Nutzer:innen können wir behalten – warum verlieren wir andere?

Referral: Wie können wir unsere Nutzer:innen zu Botschafter:innen machen?

Revenue: Wie können wir unsere Einnahmen steigern?

Die 6 Schritte des AAARRR-Funnel im Detail

Schritt 1: Awareness (Bekanntheit)

Wer ist unsere Zielgruppe und wie sprechen wir diese Personen am besten an? Kennen wir die Bedürfnisse dieser Zielgruppe?

Dieser erste Schritt ist von entscheidender Bedeutung. Hier geht es darum, den Trichter möglichst weit zu öffnen, um die passende Zielgruppe anzulocken und trotzdem spezifisch genug ansprechen zu können.

Dies kann in Bezug auf journalistische Produkte mittels SEO, Social-Media-Präsenzen, zielgruppenspezifischen Werbeformaten oder Events geschehen.

Schritt 2: Acquisition (Beschaffung)

Einmal ist keinmal: Wie kommen Nutzer:innen regelmässig mit unserem Produkt und unseren Inhalten in Kontakt? Wo entsteht aus reiner Zufälligkeit eine Wiedererkennung?

In diesem Schritt geht es darum, das eigene Angebot möglichst passgenau zu bündeln und zu positionieren. Je fokussierter, desto besser. Mit unverwechselbaren und wiedererkennbaren Inhalten wollen wir einen Unterschied zur unendlichen Flut von Angeboten schaffen.

Schritt 3: Activation (Aktivierung)

Gelingt es uns, dass sich Nutzer:innen tatsächlich mit unseren Inhalten auseinandersetzen? Wie schnell können wir den Nutzer:innen einen Aha-Moment zaubern?

Hier entsteht eine erste bewusste Handlung: Nachdem ein:e Nutzer:in bereits mehrfach über unsere Inhalte «gestolpert» ist, wird nun ein aktiver Entscheid gefällt und z.B. ein Newsletter abonniert, einem spezifischen Social-Media-Angebot gefolgt oder die entsprechende App heruntergeladen.

Schritt 4: Retention (Beibehaltung)

Nun geht es ans Eingemachte. Können wir die neu gewonnenen Nutzer:innen tatsächlich halten? Was geschieht mit den Nutzer:innen, die wir in diesem Schritt verlieren – und warum verlassen sie uns?

In dieser Phase versuchen wir, Nutzungsroutinen und -rituale zu schaffen und in die Loyalität unserer Nutzer:innen zu investieren. Eine regelmässige Nutzung ist essentiell, um aus zufälligen Nutzer:innen zahlende Kund:innen zu machen.

Im journalistischen Kontext gelingt dies in der Regel durch verlässliche und wiederkehrende Inhalte – im Sinne der Qualität, Darstellungsform und Publikationszeit. Diese Inhalte gilt es bedürfnisorientiert zu Produkten zu bündeln.

Weshalb die dazu notwendige Produkt-Denke im Journalismus häufig fehlt, habe ich hier notiert.

Schritt 5: Referral (Empfehlung)

Nun folgt der entscheidende Schritt: Werden aus regelmässigen Nutzer:innen auch überzeugte Botschafter:innen? Gelingt es uns, eine treue Community aufzubauen, die sich im Ernstfall für unser Produkt einsetzt?

Aktuell versuchen immer mehr Medienhäuser, über Gönner-Modelle die Beziehung zur eigenen Leserschaft zu intensivieren und diese laufend auszubauen. Bei journalistischen Produkten gelingt dies z.B. über die Möglichkeit, Inhalte für bereits bestehende Nutzer:innen exklusiv teilbar zu machen oder durch künstliche Verknappung bei Beta-Produkten, die anfangs nur auf individuelle Einladung nutzbar sind.

Schritt 6: Revenue (Ertrag)

Jetzt wird abgerechnet: Ist es uns gelungen, einen unverwechselbaren Mehrwert zu schaffen? Sind unsere Angebote derart unverzichtbar, dass Nutzer:innen dafür sogar bereit sind, einen regelmässigen Betrag zu zahlen?

Um diese Hürde etwas zu senken, gilt auch hier die Devise des regelmässigen Testen. Sei es mit kurzfristigen und vergünstigten Probe-Angeboten, Weiterempfehlungs-Rabatten oder exklusiven Zusatzleistungen: Der Phantasie sind für neue Erlösmodelle keine Grenzen gesetzt.

Wie «Growth Hacking» mit Design Thinking zusammenhängt

Spätestens jetzt ist klar: «Growth Hacking» gelingt als Methode nur im Team. Um erfolgreiche Experimente und Lernmomente für die gesamte Organisation zu ermöglichen, braucht es sämtliche Disziplinen: Markt- und Nutzungsforscher:innen, UX-Designer:innen, Konzepter:innen, Journalist:innen, Marketing-Expert:innen, Entwickler:innen, Tester:innen, usw.

Alle haben gemeinsam, dass sie auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen fokussieren, machen statt reden und radikal kollaborieren. Dies sind wiederum auch die Grundsätze der Design-Thinking– und Lean-Startup-Methode.

Die beiden agilen Entwicklungstechniken fliessen denn auch ineinander über: Während Design Thinking vor allem dazu taugt, Bedürfnisse zu verstehen und Hypothesen zu bilden, hilft uns Lean Startup bei der iterativen Weiterentwicklung von Ideen bis hin zum Produkt-Market-Fit. Hier setzt nun «Growth Hacking» als Methode ein, um die Produktidee zu skalieren und beim Zielpublikum zu implementieren.

Zusammenspiel des Design-Thinking-, Lean-Startup- und Growth-Hacking-Prozesses: Laden Sie sich hier das Modell als PDF-Dokument unter CC BY-SA 4.0-Lizenz herunter.

Wie einfach lässt sich die «Growth Hacking»-Methode im Alltag umsetzen? So viel vorneweg: Es braucht viel Flexibilität, einiges Frustpotential aber vor allem Freude am Experimentieren. Nur so kann ein individuell passender Weg mit unterschiedlich langer Gültigkeit abgeleitet werden.

Fragen? Andere Beispiele?

Kennen Sie Beispiele, welche dank «Growth Hacking» umso erfolgreicher wurden? Haben Sie selbst bereits Erfahrungen mit der Methodik gesammelt? Lassen Sie es mich gerne wissen, indem Sie die untenstehende Kommentar-Funktion nutzen oder mir auf einem anderen Kanal eine Nachricht zukommen lassen. Ich freue mich!

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